Preßnitztalbahn-Meilensteine
Teil 5: 22. November 1991: Abschluss des Kaufvertrages über zwei IV K für die IGP
Es war ein Ereignis für die noch junge IG Preßnitztalbahn e. V., das man mit Fug und Recht als „Game-Changer“, also ein Ereignis, das den Lauf der weiteren Geschichte bestimmt hat, bezeichnen kann. Es kam aber nicht aus heiterem Himmel, sondern war mit einem erheblichen persönlichen Einsatz in der Vorbereitung verbunden – und dennoch schlug die Nachricht unter den Vereinsmitgliedern und Eisenbahnfreunden ein wie ein Blitz: Am Nachmittag des 22. November 1991 unterzeichnete Kay Kreisel als 1. Vorsitzender des Vereins bei der Hauptabteilung Verkauf der Deutschen Reichsbahn in Berlin den Kaufvertrag für die beiden IV K 99 1542-2 und 99 1568-7. Damit schien der Traum von der Museumsbahn tatsächlich realisierbar zu werden. Blickt man 25 Jahre später auf dieses Ereignis zurück, kann man nur über die Geschwindigkeit staunen, mit der dieses Ergebnis eintrat – damals waren es endlose Wochen und Monate ohne Fortschritt. Erst ein Jahr zuvor war ein neuer Vorstand unter der Führung von Kay Kreisel angetreten, neuen Schwung und Kraft in den im Herbst 1990 voller Ideen und Wünsche, aber ohne konkrete Richtung agierenden Verein zu bringen. Zu den Aufgaben der neuen Mannschaft gehörte es, der beschlossenen Zielstellung des Aufbaus einer Museumsbahn von Jöhstadt nach Schmalzgrube Taten folgen zu lassen und insbesondere das Thema Fahrzeugbeschaffungen anzugehen.
Möchte man von jemandem etwas kaufen, setzt dies den Willen zum Verkaufen beim potentiellen Verkäufer voraus. Weiß der Verkäufer noch nichts von seinem Willen, etwas zu verkaufen, muss der potentielle Käufer diesen Willen erst initiieren.
Die Kenntnis der Hierarchie in der Organisation der Deutschen Reichsbahn war sicherlich ein gutes Pfand, den der Vereinsvorsitzende an der Hand hatte. Jedoch zeigte die für den Verkauf von Eisenbahnfahrzeugen zuständige Stelle der Deutschen Reichsbahn Ende 1990 und Anfang 1991 den potentiellen Käufern aus dem Erzgebirge immer nur die kalte Schulter. Es wäre nichts zu verkaufen und alle Loks würden gebraucht – unisono erfolgte die Antwort aus Berlin wie schon bei früheren Anfragen. Doch das zweite Faustpfand bestand in der detaillierten Kenntnis vom Zustand des Fahrzeugparkes bei den sächsischen Schmalspurbahnen. Die Dienststelle in Nossen, die weitgehend den Bestand der IV K in Mügeln zu verwalten hatte, war sich sehr wohl des Überbestandes an Fahrzeugen bewusst. Nicht zuletzt die Stilllegung der Preßnitztalbahn hatte die Anzahl der Loks im Mügelner Heizhaus wieder auf seit vielen Jahren nicht mehr gekannte Größe gebracht. Nach einem Unfall bzw. einer Entgleisung im Jahr 1990 stellte die Dienststelle sogar drei Loks (99 1562-0, 99 1566-1 und 99 1542-2) von der Instandsetzung zurück – ohne dass der Betriebsablauf beeinträchtigt schien. Auch 99 1582-8 und 99 1585-1, beide ehemalige Preßnitztalbahn-Loks, waren nominell überzählig.
Nach stetigem Nachstoßen bei der Reichsbahndirektion in Dresden meldete diese im zweiten Quartal 1991 endlich auch Schmalspurdampfloks als „für den Betrieb entbehrlich“. Doch bis diese Meldung, die quasi einer potentiellen Freigabe für den Verkauf gleichkam, dann ihren Weg von Dresden zur zuständigen Hauptverwaltung in Berlin fand, vergingen weitere Wochen und Monate. Währenddessen liefen Telefonate und Besuche bei den Verkäufern gleichbleibend deprimierend ab: Wenn keine Freigabe vorliege, könne auch kein Verkauf verhandelt werden. Unterstützung für den gewünschten Verkauf von Schmalspurdampfloks an einen sächsischen Verein kam indirekt von anderer Seite. Denn im Verlauf des ersten Halbjahres nahm der Verkaufszug für regelspurige Dampfloks aus dem Bestand der Deutschen Reichsbahn an Vereine, Bahngesellschaften und Händler richtig Bewegung auf. Bald häuften sich die Meldungen in den einschlägigen Zeitungen über diesen oder jenen erfolgreichen Deal, der auch manchem Eisenbahner den schmerzhaften Abschied von einem über viele Jahre betreuten Pflegeobjekt brachte. Doch für Kay Kreisel und seine Mitstreiter hieß das, dass es eben möglich sein könne. In einer solchen Zeit ziehen sich Tage und Wochen gefühlt endlos hin. Auch die politische Klaviatur wurde genutzt. Bürgermeister Günter Baumann, ohnehin ein emsiger Unterstützer für die Ideen des Vereins, setzte sich in der Landespolitik für eine wohlwollende Positionierung des Ministerpräsidenten (MP) Kurt Biedenkopf ein. Ministerialdirigent Heinemann ersuchte im Auftrag des MP im Juli 1991 die Hauptverwaltung der DR, den Verkauf der 99 1582-8 oder 99 1585-1 an die Preßnitztalbahn zu prüfen. Doch scheinbar verhallten alle Appelle ohne Ergebnis. In Dresden war man nach diversen Rückmeldungen aus den Dienststellen der Schmalspurstrecken nun soweit im Bilde, dass eine Liste von Fahrzeugen kursierte, über die man für einen Verkauf reden könnte. Doch Bremser und Mahner blockierten hier parallel mit vielfältigen Argumenten, u. a. dass ein Ausverkauf dieser sächsischen Kulturgüter verhindert werden müsse. Hinter den Kulissen zwischen Hauptverwaltung Maschinentechnik und der Rbd Dresden entspann sich ein Hin und Her. Auch zwischen den Eisenbahnfreunden in Sachsen brachen Philosophiegräben auf. Während vor allem die „alteingesessenen“ organisierten Eisenbahnfreunde auf Bestandsschutz oder gar komplette Unterschutzstellung, Verkaufsverbot bzw. Übertragung der freiwerdenden Fahrzeuge an das Verkehrsmuseum Dresden fabulierten, stand den „Neuen“ von der Preßnitztalbahn und den inzwischen in gleicher Richtung mitwirkenden Museumsbahnern aus Schönheide mit Marco Drosdeck ganz klar der Sinn nach Eigentumserwerb. Einigkeit war eher herzustellen, wenn es den potentiellen Verkauf „in den Westen“ zu verhindern hieß. Dass dort relativ wenig Interesse an „den Sachsen“ bestand, interessierte im Rahmen der „psychologischen Beeinflussung“ wenig – fand aber wie immer im zielgerichteten Umgang mit Ressentiments durchaus auch seinen Nährboden.
Unzählige Telefonate und persönliche Gesprächstermine später keimte dann Mitte Oktober 1991 Hoffnung. Nach einem frühmorgendlichen Telefonat von Kay Kreisel mit Herrn Halle von der Hauptverwaltung Maschinentechnik zeichnete sich eine Verkaufsfreigabe für eine der Loks in ein paar Wochen ab. Welche Lokomotiven es sein würden, stand noch nicht fest. Also hieß es ganz klar, es sollte eine „alte Jöhstädter“ wieder zurückkommen. Eine Lok zu bekommen wäre echt ein tolles Ergebnis. Per Zug ging die Fahrt für Kay Kreisel (zusammen mit Dirk Lenhard und Matthias Rothe) am Freitag, dem 22. November, zum wiederholten Mal im Jahr 1991 nach Berlin. Sollte es heute zu einem Ergebnis kommen? Drei Loknummern standen auf dem Zettel, zwei würde man an die IG Preßnitztalbahn e. V. verkaufen können, aber die Entscheidung über welche müsse unverzüglich getroffen werden: 99 1542-2, 99 1562-0, 99 1568-7. Klar war sofort die „68“ gesetzt. Und die ungeahnte Chance auf eine zweite? Die Wahl fiel durch die „mitgereisten Berater“ auf die „42“, da sie nach einer Entgleisung „nur“ schadhaft abgestellt worden war, während die 99 1562-0 bekanntermaßen nach dem Unfall etwas unvollständig war.
Nachbemerkungen
- Dass die Nachricht vom Kauf der beiden Loks zuerst auf einer Hochzeitsfeier am Abend des gleichen Tages im Deutschen Dampflok-Museum Neuenmarkt-Wirsberg ankam, ist eine andere Geschichte – für viele Beteiligte aber noch heute untrennbar mit dem Start des Dampflokzeitalters bei der neuen Preßnitztalbahn verbunden.
- Dass die 99 1568-7 auf der Verkaufsliste erschien, war (wie auch die anderen Loks) vorher nicht bekannt. Das Bw Nossen hatte die Lok im Frühsommer als „entbehrlich“ nach Dresden nachgemeldet, da sich im Betrieb Undichtheiten am Kessel herausstellten und für eine Kesselreparatur kein Bedarf und keine Kapazität vorhanden waren. Ironie der Geschichte, dass im Lokbahnhof Mügeln dann trotzdem an der Reparatur der undichten Stehbolzen gearbeitet wurde und just einen Tag vor dem Verkauf der Lok an die IG Preßnitztalbahn e. V. das Fahrzeug durch den Kesselprüfer als wieder einsatzbereit nach Nossen gemeldet wurde.
- Das permanente beharrliche Nachbohren durch Kay Kreisel hatte in Berlin auch zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung geführt. Das waren nun nicht mehr „nur Spinner, die auch mal eine Dampflok haben wollen“. Die nächsten Verkäufe von ausgemusterten Fahrzeugen an den Verein waren nach dem Dammbruch mit diesen beiden Loks die positive Folge und auch die Museumsbahn Schönheide/Carlsfeld e. V. und der Verein Sächsischer Eisenbahnfreunde e. V. konnten in den folgenden Monaten auf diesen Kontakten aufbauen und Fahrzeuge erwerben. Dass der Preis der nächsten beiden verkauften IV K (an die Museumsbahn Schönheide) nur 50 % vom Kaufpreis der IGP betrug, ist dem ebenso zuzuordnen.
- 20 000 Deutsche Mark zuzüglich damalige 14 % Mehrwertsteuer rief die Deutsche Reichsbahn je Lok als Preis auf – eine hohe Summe, die den Jahresumsatz des Vereins in diesem Jahr fast verdoppelte. Und doch wäre mit der Chance auf wenigstens eine Lok sogar die Bereitschaft für einen höheren Preis da gewesen.
07.12.2016
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