Preßnitztalbahn-Meilensteine
Teil 11: Wie mit ‘ner Schubkarre beim Pyramidenbau: Ein kleiner Laster mit großer Leistung
Nun mag es etwas weit hergeholt sein, den Aufbau einer Museumsbahn mit dem Bau der ägyptischen Pyramiden zu vergleichen, doch bezieht sich die Analogie in diesem Falle weniger auf das Bauwerk, sondern auf die zum Einsatz gekommenen Betriebs- und Arbeitsmittel. Waren für den Pyramidenbau nach aktuellem Forschungsstand sehr wohl auch unzählige Schubkarren im Einsatz, so kann mit Fug und Recht den zum Aufbaubeginn der Museumsbahn eingesetzten Fahrzeugen ein gleichermaßen minimalistisches Nutzvolumen im Vergleich zur anstehenden (Transport-)Aufgabe attestiert werden.
Ein himmelblauer Lastkraftwagen vom Typ H3A in zeitgemäßer starker Modernisierung (im Sprachgebrauch der IG Preßnitztalbahn e. V. jedoch als S4000 bezeichnet) mit den Kennzeichen RK 29-74 bzw. ab 1. April 1992 mit ANA-Z 590 prägte zwischen 1990 und 1997 die weitreichenden Transportaktivitäten eines Vereines, der an unzähligen Stellen im Land nach wiederverwertbaren Materialien und Teilen suchte und diese ins Erzgebirge brachte. Zeitweilig gemeinsam mit einem braun lackierten IFA-S4000-Kipper und mit einem blau lackierten S4000 mit höheren seitlichen Bordwänden übernahmen diese Straßenfahrzeuge für den Verein alle Transporte, die mit diesen Lkw gerade so noch möglich waren. Ab Sommer 1992 brachten zu dieser Zeit auch schon langsam historische W50-Lkw dann etwas mehr Leistung ins Geschehen.
Ein Abriss zur H3A- und S4000-Geschichte
Bei den H3A handelt es sich um leichte Lastkraftwagen, die zwischen 1951 bis 1958 im bis 1957 als VEB Horch Kraftfahrzeug- und Motorenwerke Zwickau benannten Herstellerwerk gebaut wurden. Ab 1958 kam der S4000 im nunmehrigen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau (dafür steht das „S“ im Namen) als Nachfolger heraus, er wurde später im VEB Kraftfahrzeugwerk „Ernst Grube“ Werdau gebaut. Das bietet insofern einen interessanten Schmalspurbahnbezug, da dieses Werk erst 1952 aus dem vormaligen VEB Lokomotiv- und Waggonbau Werdau hervorgegangen war, der wiederum vor 1945 als „Sächsische Waggonfabrik Werdau“ auch sächsische Schmalspurbahnwagen produziert hatte.
Während der H3A mit seinem Vierzylinder-Dieselmotor mit 80 PS bei 3500 kg Nutzlast auf nominell 70 km/h kam, schaffte es der S4000 mit seinem Vierzylinder-Reihen-Viertakt-Dieselmotor mit rund 90 PS (66 kW) bei maximalen 75 km/h und rund 17 Liter Dieselverbrauch auf 100 km auf eine maximale Zuladung von 4000 kg (deshalb S4000). Bis 1967 entstanden insgesamt etwa 23 000 Exemplare, die außer an Abnehmer in der DDR auch nach Polen, Bulgarien, Vietnam und Kuba geliefert wurden. Besonders in Kuba sind auch heute noch einzelne Exemplare im Einsatz. Auch nach seinem Produktionsende und mit verstärkter Produktion des IFA-W50 (zunächst in Werdau, später in Ludwigsfelde) waren die handlichen Lkw der S4000-Familie in unterschiedlichster Ausrüstung als Pritsche, Koffer, Kipper, Sattelzug oder auch Feuerwehrfahrzeug aus dem Alltag in der DDR nicht wegzudenken. Mit ihren 2,37 m Breite, 6,50 m Länge und 2,35 m Höhe waren die Fahrzeuge in den Grundabmessungen (ohne größere Aufbauten) auch in engen Arbeitsumgebungen anzutreffen. Jedoch sorgten diese Lkw auch für eine regelmäßige Entschleunigung auf den Straßen, wenn Zuladung oder Steigung zur Herausforderung der Antriebseinheit wurden und der erste Gang mit nominellen 8,7 km/h Höchstgeschwindigkeit dem Fahrer das Gefühl eines Kolonnenführers vermittelte.
Die H3A/S4000 der IGP
Michael Schröder, René Belschner und Gerd Lindner steuerten der IGP Anfang der 1990er Jahre mit dem H3A und mit den beiden S4000 die Transportkapazitäten bei. Besonders der himmelblaue Lkw mit niedriger Ladebordwand und dem Schriftzug „IG Preßnitztalbahn“ an den beiden Türen des Fahrerhauses von Michael Schröder aus Meißen (genannt „der Meißner“), den später der Verein bzw. die Stadtverwaltung Jöhstadt zulassungstechnisch übernahm, prägte die öffentliche Wahrnehmung des Vereines bei vielen Auswärtseinsätzen zur Bergung von Material und Teilen sowie zum Transport von Ausrüstung und Technik. Während der braune S4000-Kipper von Gerd Lindner und der hochbordige S4000 von René Belschner überwiegend im Jahr 1991 ihre Dienste leisteten und dabei meist für einen Wochenendausflug aus Dresden bzw. Freital anrollten und heute nicht mehr existieren, befand sich der „RK 29-74“ bzw. „ANA-Z 590“ über längere Zeit dauerhaft in Jöhstadt. Mit seinen 7,1 t zulässigem Gesamtgewicht konnte der H3A mit dem DDR-Pkw-Führerschein (Fahrzeuge bis 7,5 t) von vielen Vereinsmitgliedern gefahren werden. Unzählige Stunden und Tage verbrachte Michael Schröder in und unter dem Fahrzeug, um es für die harten Beanspruchungen fahrbereit zu halten.
Gelegentliche Ausfälle im Betriebsalltag auf der Straße oder auch nach einigen Tagen Standzeit ließen andererseits immer wieder den Wunsch nach alternativer modernerer Transporttechnik aufkommen. Michael Schröder hatte den 1960 gebauten H3A in der Wendezeit des Jahres 1990 bei einem kleinen privaten Fuhrunternehmer in Lommatzsch erworben, wo er bis zum Verkauf für die Auslieferung von Milchkannen im Einsatz war. Ab Ende 1990 brachte er den Lkw gelegentlich zu angesetzten Arbeitseinsätzen mit nach Jöhstadt, ab Mitte 1991 hatte dieser seine dauerhafte Stationierung in Jöhstadt, wo er dann am 1. April 1992 auch seine bundesdeutsche Zulassung bekam. Allfällige TÜV-Prüfungen wurden regelmäßig zur Herausforderung für die vorbereitenden Arbeiten – aber durchaus auch für den zuständigen Mitarbeiter der Prüforganisation. Während bereits aufeinanderfolgend zwei W50-Lkw ab 1992 die Haupttransportaufgaben übernahmen (wofür jedoch die Lkw-Fahrerlaubnis erforderlich war), nahmen die Einsatzaufgaben für den H3A nach 1993 stetig ab, bis 1997 das Fahrzeug durch Michael Schröder wieder zurück übernommen und im weiteren Umfeld von Meißen abgestellt wurde.
Ein neues „Leben“ für „den Blauen“
Ein paar Jahre stand das Fahrzeug nun abgestellt und wartete auf ein „Leben“ nach dem aktiven Dienst. Für Michael Schröder hing an dem Fahrzeug viel Herzblut. Und da er sich zwischenzeitlich auch einen Bus (Ikarus 66) zugelegt hatte, bestand die Notwendigkeit für ein Fahrzeug, das Ersatzteile dafür transportieren konnte. Nachdem die beiden „Fahrzeugschrauber“ René Belschner und Michael Schröder im Jahr 2001 die ehemalige Güterabfertigungshalle an der Ladestraße in Freital-Hainsberg angemietet hatten, brachten sie viel Material aus ihren verschiedenen vorherigen Lagerstellen noch mit dem in die Jahre gekommenen H3A in das neue Domizil. Dort begann um das Jahr 2003 die notwendige Komplettrestaurierung dieses Lkw. Dazu wurde das Führerhaus zu einem Stellmacher nach Mügeln zur Aufarbeitung gebracht, der Motor und die Vorderachse wurden in Freital-Hainsberg ausgetauscht.
Doch dann stockte das Projekt und die verteilten Reste des kleinen Lasters verstaubten mehrere Jahre zusehends unter einer Plane. Nach Michael Schröders Ableben im Juli 2017 übernahmen René Belschner und sein Sohn Tobias die Aufarbeitung. Dabei kamen auch originale S4000-Teile aus dem hochbordigen Pritschenwagen zum Einsatz, der 1991 mehrfach Schwellen von verschiedenen Rückbauorten und Dampflokteile aus Görlitz nach Jöhstadt gebracht hatte. Gerade pünktlich mit der Anfang 2019 erforderlichen finalen Räumung der ehemaligen Güterabfertigungsräume in Freital-Hainsberg stand der vormals himmelblau lackierte Lkw nunmehr mit dunklerem Blauton wieder im Einsatz, nachdem er am 1. April 2019 erfolgreich die Abnahme bei der DEKRA passiert hatte. Bereits Ende April 2019 war der H3A beim Oldtimertreffen im früheren Herstellerwerk in Werdau zu sehen, danach konnten ihn Freunde alter Autos auch schon im Mansfelder Land, in Stendal oder beim Truckrennen in Most (Brüx) bewundern.
Baldiges Wiedersehen bei der Preßnitztalbahn
Im Preßnitztal wird dieser H3A zum 13. Oldtimerfest am ersten Juliwochenende 2020 erstmals wieder zu sehen sein und sicherlich auch da gerade mit seinem historischen Ladegut, wie auch auf allen anderen Veranstaltungen, für Beachtung sorgen. Denn René Belschner ist durch Zufall zu elf Holzkisten mit 0,33-Liter-Bügelflaschen verschiedener Brauereien gekommen. Diese Flaschen sind allesamt Limonadenflaschen u. a. mit Etiketten, die auf die Getränkeversorgung „ESW 8. Mai 1945 Freital“, Deutsche Reichsbahn Getränkestelle Dresden, die Brauerei Hoffmann Crottendorf und weitere verweisen. Damit dient der Lkw nun der Traditionspflege, der Erinnerung an die gemeinsame Geschichte mit Michael Schröder nach der Wende und die so überaus spannende und interessante Zeit des Wiederaufbaues der Preßnitztalbahn.
10.02.2020
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