Reisebericht
Auf Meterspur von Daressalam zum Viktoriasee
Im Oktober 2019 erwartete mich ein besonderes Eisenbahnabenteuer: eine dreitägige Fahrt quer durch Tansania – und das auf Meterspur. Als ich im März 2019 das erste Mal Daressalam besuchte, machte ich eher zufällig und aus verhaltenem Interesse einen Abstecher zum Bahnhof in der Nähe des Stadtzentrums. Dort erfuhr ich, das der Bahnhof geschlossen und seine Gleise abgebaut seien. Schlagartig war die Neugier geweckt – hier verschwindet etwas, was es vermutlich wert ist, wenn möglich noch kennengelernt zu werden.
Zurück zu Hause, machte ich mich erst einmal mit der Geschichte der tansanischen Meterspurstrecken bekannt. Unter der deutschen Kolonialherrschaft begann 1893 der Bau der Usambarabahn, die von der Hafenstadt Tanga ausgehend erst 1911 das 352 km entfernte Moshi erreichte. Im Jahr 1905 begann der Bau der Tanganjikabahn, die bei einer Länge von 1250 km von Daressalam über Morogoro, die heutige Hauptstadt Dodoma sowie Tabora nach Kigoma am Tanganjikasee führt und 1914 fertiggestellt wurde. Die Deutschland ablösende britische Kolonialmacht ergänzte die Strecken von Tabora nach Mwanza am Viktoriasee (1928), von Tabora nach Mpanda (1950) sowie von Moshi nach Arusha (1930). Nach der Unabhängigkeitserklärung von Tansania kam auch eine Querverbindung beider Strecken hinzu. Mit chinesischer Hilfe wurde im Jahr 1976 die in Daressalam beginnende Tanzania-Zambia-Railway (TAZARA) in Kapspur (1067 mm) errichtet.
Nachdem das Eisenbahnnetz lange vernachlässigt wurde – die Strecke nach Moshi und Arusha hat man nach 2000 sogar eingestellt – sorgt der sonst politisch umstrittene Präsident John Magufuli (seit 2015) für einen Aufschwung im Schienenverkehr. Ziel des Präsidenten ist es, die Schienen- und Straßeninfrastruktur in Tansania (etwa 2,5 Mal so groß wie Deutschland) deutlich zu verbessern. Für die Eisenbahn wurden neue Fahrzeuge beschafft und das Gleisnetz vor allem mit chinesischer Hilfe auf Vordermann gebracht. Die Wiedereröffnung des Reiseverkehrs von Daressalam nach Moshi erfolgte am 7. Dezember 2019. Außerdem baut ein türkisch-portugiesisches Konsortium eine normalspurige elektrifizierte Neubaustrecke von Daressalam nach Dodoma, die mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h befahrbar sein soll. Anschließend wolle man die Strecke über Tabora nach Mwanza und auch in die Nachbarstaaten Rwanda, Burundi und Uganda verlängern. Dies hätte dann das Aus der meterspurigen Tanganjikabahn zur Folge.
Daraufhin plante ich für meinen nächsten Urlaub in Tansania eine Fahrt von Daressalam an den Viktoriasee, dem größten See Afrikas und zugleich drittgrößten See der Welt. Bei der Planung der Reise begannen bereits die Probleme: Weder im Internet (und offenbar auch sonst nirgendwo) ist ein Fahrplan verfügbar, geschweige denn gibt es online eine Möglichkeit zum Kauf einer Fahrkarte. Von Deutschland aus telefonisch am Bahnhof in Daressalam eine Reservierung vornehmen zu können, wurde gleich ins Reich der Fabeln geschoben. Deshalb musste die Hilfe von Einheimischen her, an der es mir glücklicherweise nicht mangelt. Mit dieser Unterstützung plante ich den Urlaub – einschließlich einer Alternative, falls es mit der Zugfahrt nicht klappen würde. Eine Woche vor Reisebeginn erfuhr ich, dass meine Partnerin und ich eine Reservierung für den Zug am 14. Oktober 2019 haben!
Abfahrt für die Personenzüge ist in Daressalam die Kamata Station. Diese besteht aus drei Gleisen, besitzt aber keine Bahnsteige und liegt direkt neben der Hochbahn für die neue Normalspurstrecke. Man hatte uns empfohlen, morgens um 9 Uhr vor Ort zu sein. Es fühlte sich mulmig an, nichts in der Hand zu haben. Am Eingang zum Bahnhof wollte man uns erst einmal abweisen, da an diesem Tag kein Zug nach Mwanza fahren würde. Aber man muss ja nicht alles ernst nehmen. Wir blieben hartnäckig und kamen bis zum Verkaufshäuschen. Dort fand sich die Reservierung in den Unterlagen und eineinhalb Stunden später hielten wir zwei Tickets in der Hand, Abteilwagen 1. Klasse Nr. 1171. Der Fahrpreis von Daressalam nach Mwanza betrug etwa 30 Euro pro Person. Als Abfahrtszeit bekamen wir 15 Uhr genannt. Daraufhin gingen wir zurück zum Hotel, kauften Vorräte und liefen dann wieder zum Bahnhof. Dort rangierte gerade die Lok 88U07. Als sie nach einer Weile fertig war, standen wir vor einem 11-Wagen-Zug, an den sich später die Lok 9018 setzte. Der „1.-Klasse-Wagen“ entpuppte sich als historisch-romantisch, man könnte aber auch einfach gammlig sagen. Zum Einstieg mussten wie bei allen anderen Wagen vier Stufen fast bergsteigerisch erklommen werden. Im Abteil befanden sich zwei Liegen übereinander, wobei es für die obere keine Aufstiegshilfe gab. Dafür gab es ein Waschbecken mit stets fließendem Wasser, aber keinen Spiegel, keine Klimaanlage oder sonst etwas. Doch wenigstens verfügte das Abteil über eine elektrische Lampe. Für die Fenster, durch deren Scheiben man nicht mehr durchschauen konnte, bekamen wir einen Holzstab. Mit diesem klemmten wir das bewegliche Fenster fest, damit niemand von außen ins Abteil greifen konnte. Positiv überrascht waren wir von den einfach gehaltenen, aber stets sauberen Toiletten. Im nächsten Wagen Richtung Lokomotive befand sich der Speisewagen, in dem man Reis mit Hühnchen oder Fisch bestellen konnte. Das Essen wurde gebracht, die Übergänge zwischen den Wagen mochten wir während der Fahrt nicht benutzen, die Lücken waren uns zu groß …
Pünktlich 15 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Im Stadtgebiet von Daressalam ging es zunächst an mehreren Abstellbahnhöfen vorbei, in denen teils stark beschädigte gedeckte Güterwagen oft neben den Gleisen oder auch übereinander lagen. Bei einem von links einmündenden blanken Gleis handelte es sich offenbar um das gut ausgelastete Anschlussgleis zum Hafen. Beginnend im Stadtgebiet von Daressalam verläuft die in Bau befindliche Normalspurstrecke, deren Gleise teilweise schon lagen, immer wieder parallel oder wenigstens in Sichtweite der Meterspurstrecke. Durch hügeliges, meist mit Buschwerk bewachsenes Gelände führt die Strecke immer leicht aufwärts Richtung Morogoro, der ersten größeren Unterwegsstation. Diese erreichten wir aber erst im Dunkeln. Unterwegs begegneten uns zwei Güterzüge mit Diesellokomotiven der tansanischen Baureihe 90.
Am nächsten Morgen änderte sich das Landschaftsbild, der Zug fuhr nun über eine Ebene mit rötlicher Erde, die eher spärlich bewachsen war. Es war das Ende der Trockenzeit, die ersten Regen wurden erwartet. Gegen 8 Uhr morgens wurde die Hauptstadt Dodoma (km 455) erreicht. Hier kuppelte die Lok ab, setzte an das andere Zugende und rangierte einen Teil des Zuges neben die Wagenwerkstatt. Offensichtlich musste an einem Personenwagen etwas repariert werden. Das wunderte uns nicht wirklich, waren doch am Abend auf einem neu eingeschotterten Abschnitt immer wieder Schottersteine krachend gegen die Wagenböden geschleudert worden, so dass Funken flogen …
Zwischenzeitlich kreuzte uns ein Güterzug nach Daressalam, bespannt mit Lok 88U01. In diesem befanden sich auch Wagen der ugandischen Staatsbahn. Nach Zeitungsberichten ist die Fährverbindung von Mwanza nach Port Bell in Uganda seit Juni 2018 wieder in Betrieb.
Nach einem zweistündigen Aufenthalt in Dodoma fuhren wir weiter. Von Eingeweihten sehnlich erwartet: der Stopp in Saranda. Hier hatten die Dorfbewohner ein komplettes Buffet aufgebaut, es köchelte und brutzelte. Die meisten Fahrgäste stiegen aus, um etwas zu essen. Bei wöchentlich drei Zügen dient das Geschäftsmodell für die Dorfbewohner vermutlich eher nur als Nebenerwerb. Kurz vorher hatten wir eine chinesische Bahnmeisterei passiert: Eingeschlossen von Mauern standen dort kleine Häuschen mit Garten und auf dem in das Areal führenden Gleisanschluss ein in China hergestelltes Bahnmeistereifahrzeug. Zu nächtlicher Stunde erreichte unser Zug dann den Trennungsbahnhof Tabora (km 840). Auf den Bahnsteigen warteten dort viele Menschen. Nach einiger Zeit ertönte eine Ansage, wann die einzelnen Züge weiterfahren würden. Ein lautes Raunen ging durch die Menge … – die Verspätung musste schon erheblich gewesen sein. Unser 1.-Klasse-Wagen wurde auf ein anderes Gleis rangiert und eine Lok setzte sich direkt vor uns. Auf dem Nachbargleis stand der Zug nach Mpanda, der Zug nach Kigoma war verdeckt. Nachts 0.26 Uhr fuhren wir weiter.
Am nächsten Morgen ließ sich unser Zug bei Sonnenlicht richtig betrachten. Die Lok 88U05 führte nun einen aus drei Personenwagen und sechs Güterwagen gebildeten gemischten Zug. Unser Wagen lief direkt hinter der Lok, was das Tuckern des „Dieseltraktors“ deutlich hören ließ. Wir saßen nun in einem echten Gmp! Auf mindestens drei Unterwegsstationen wurde rangiert, dabei wurden auch die Personenwagen mit verschoben. Nach einer Ankunftszeit in Mwanza fragte schon lange niemand mehr. Das Zeitgefühl verschwand. Im Zug gab es keine Uhr, an den Bahnhöfen ebenso wenig, die Handys zeigten mangels Lademöglichkeit schon lange nichts mehr an. Die Solarladegeräte, die in Daressalam am Zug verkauft wurden, hatten wir verschmäht, man muss ja nicht jeden Tand kaufen … Wenn man an so einem Tag nichts weiter vor hatte, war das alles sehr entspannend. Zugkreuzungen gab es keine, wir waren als einzige auf dem 378 km langen Streckenast unterwegs. Schließlich fuhr der Zug zwischen Felsen hindurch in die Ebene des Viktoriasees. In Mwanza Süd hielt der Zug nur kurz, hier standen zwei Rangierloks auf den Nebengleisen für die Bedienung des Hafenanschlusses zu den Fähren nach Uganda. Dieser Güterverkehr wird die Zukunft der Meterspurstrecke nach Daressalam noch eine Weile sichern. Letztendlich kamen wir zwei Tage nach der Abfahrt mit mehr als acht Stunden Verspätung 15.45 Uhr in Mwanza (Höhe 1144 m ü. NN) mit seinem schönen Bahnhof im Kolonialstil an. Die An- und Abfahrtszeiten des Zuges wurden mit Kreide an eine Tafel angeschrieben. Die Rückfahrt war für 20 Uhr angekündigt. Auf uns wartete dagegen nach den drei sehr spannenden Tagen im Zug ein Hotel …
10.02.2020