Eisenbahn-Geschichte
Kritik am Fahrplan der Selketalbahn in den Jahren 1951 und 1952
Nachdem im PK 187 im Beitrag „Der Winterfahrplan 1950/51 für die Selketalbahn entsteht“ die Situation im Winter 1950/51 anhand von bruchstückhaft im Archiv des Verfassers vorhandenen Schriftstücken beschrieben wurde, folgt nun die Kritik am damals erstellten Fahrplan:
Die Loklage im Bahnbetriebswerk (Bw) Wernigerode Westerntor war ab der Übernahme der Schmalspurbahnen im Harz durch die Deutsche Reichsbahn (DR) im Jahr 1949 stets äußerst angespannt. Das blieb so bis zur Indienststellung der LKM-Neubaudampfloks Ende der 1950er Jahre. Im Archiv des Verfassers liegen einige weitere Schriftsätze vor, die schlaglichtartig die Situation im Winter 1951/52 veranschaulichen.
Die Fahrpläne Sommer 1951 und Winter 1951/52
Vom ab 20. Mai geltenden Sommerfahrplan 1951 liegen keine Unterlagen vor, allerdings enthielt das Kursbuch [1] einen neuen Fahrplan mit zwei Dampfloks, wobei weiterhin fast alle Züge nur an Werktagen (W) fuhren. Es lassen sich zwei Umläufe ableiten:
Umlauf ab Gernrode (Harz)
- Lrz 1873 (?) W (vermutlich mit Güterbeförderung) Gernrode (Harz) – Lindenberg (Harz)
- P 1873 W Lindenberg (Harz) ab 5.41 – Alexisbad an 6.08 Uhr
- P 1874 W Alexisbad ab 6.15 – Lindenberg (Harz) an 6.41 Uhr
- P 1875 W Lindenberg (Harz) ab 6.46 – Alexisbad an 7.12 Uhr
- P 1876 W Alexisbad ab 7.17 – Harzgerode an 7.27 Uhr
- Gmp 9675 W Harzgerode ab 7.50 – Alexisbad an 8.00 Uhr
- N 9677 (?) W Alexisbad – Gernrode (Harz) (mit den Personenwagen aus 9675)
- Gmp 9684 W Gernrode (Harz) ab 14.20 – Alexisbad 15.13/25 – Harzgerode an 15.35 Uhr
- Gmp 9685 W Harzgerode ab 16.05 – Alexisbad 16.15/25 – Lindenberg (Harz) an 16.51 Uhr
- Gmp 9689 W Lindenberg (Harz) ab 17.40 – Alexisbad 18.10/30 – Gernrode (Harz) an 19.23 Uhr
Umlauf ab Harzgerode
- Gmp 9673 Harzgerode ab 5.55 – Alexisbad 6.05/10 – Gernrode (Harz) an 7.05 Uhr
- Gmp 9678 W Gernrode (Harz) ab 8.20 – Alexisbad 9.13/19 – Harzgerode an 9.29 Uhr
- Gmp 9679 W Harzgerode ab 10.00 – Alexisbad 10.10/20 – Lindenberg (Harz) an 10.47 Uhr
- Gmp 9681 W Lindenberg (Harz) ab 11.30 – Alexisbad 11.58/12.08 – Harzgerode an 12.18 Uhr
- Gmp 9683 W Harzgerode ab 12.30 – Alexisbad 12.40/45 – Gernrode (Harz) an 13.37 Uhr
- Gmp 9686 W Gernrode (Harz) ab 15.30 – Alexisbad an 16.23 Uhr
- Gmp 9687 W Alexisbad ab 16.35 – Gernrode (Harz) an 17.27 Uhr
- Gmp 9688 Gernrode (Harz) ab 18.30 – Alexisbad 19.27/30 – Harzgerode an 19.40 Uhr
Auch im Winterabschnitt 1951/52 /2/, gültig ab 7. Oktober 1951, blieb die Lage unverändert. Er entsprach mit ganz wenigen Änderungen dem Sommerfahrplan 1951: Der Gmp 9675 W war nicht mehr verzeichnet, muss aber umlaufbedingt als Nahgüterzug (mit den Personenwagen) gefahren sein. Die Gmp 9685 W, 9686 W und 9687 W fuhren jeweils sieben Minuten später. Auf Grund der vorliegenden Dokumente kann davon ausgegangen werden, dass der Fahrplan mindestens im Winter 1951/52 wie im Kursbuch abgedruckt umgesetzt wurde. Der Fahrplan ermöglichte es, dass an Sonntagen die Dampfloks wechselweise ausgewaschen werden konnten. Ein Tausch beider Lokomotiven war nachmittags in Gernrode (Harz) möglich, ebenfalls bestand die Möglichkeit, in den Nachtstunden zusätzliche Güterzüge zu fahren.
Heftige Kritik am Fahrplan im Winter 1951/52
Zufrieden war offensichtlich kaum jemand mit dem Leistungsangebot im Winter 1951/52: So antwortete die Reichsbahndirektion (Rbd) Magdeburg am 2. November 1951 auf den Wunsch des Kreisforstamtes Quedlinburg bezüglich besserer Verbindungen zwischen Gernrode (Harz) und Sternhaus Ramberg, dass weitere Änderungen nicht möglich seien. Es stünden in Gernrode (Harz) nur zwei einsatzfähige Lokomotiven zur Verfügung, mit denen nur der gültige Fahrplan eingehalten werden könne. Es sei allerdings eine dritte Lokomotive in Aussicht gestellt worden – ohne dass hierfür im Schreiben ein Datum genannt wurde. Die Rbd empfahl, sich wegen der Beförderung der Belegschaftsmitglieder an den Kraftverkehr zu wenden. Aber auch der Kraftverkehr war nicht in der Lage, diese Beförderungsaufgaben zu übernehmen. So schrieb die Oberförsterei Ballenstedt am 5. November 1951 erneut an die Rbd Magdeburg, darin hieß es u. a.: „Die Buslinie Harzgerode – Ballenstedt der VVB Kraftverkehr Harzgerode ist infolge von Pannen, Ausfällen von Omnibussen und Überbeanspruchung nicht in der Lage, einen geregelten Berufsverkehr durchzuführen.“ (VVB – Vereinigung volkseigener Betriebe). Man bat daher, den Fahrplan so zu gestalten, dass mit Fahrten von Ballenstedt über Gernrode (Harz) nach Sternhaus Ramberg und zurück die Arbeitszeit von 7.00 bis 16.30 Uhr eingehalten werden könne. Zur Erfüllung des Holzeinschlages und anderer wichtiger Arbeitsvorhaben erwartete die Försterei die volle Unterstützung der Rbd.
Doch mit einem solchen Schreiben der Oberförsterei Ballenstedt änderte sich natürlich die Loklage nicht. So antwortete die Rbd Magdeburg am 12. November 1951 erneut abschlägig – faktisch mit einer Abschrift ihres Schreibens vom 2. November. Nicht nur der Berufsverkehr, auch der Schülerverkehr war kritisch. So schrieb die Zentralschule Harzgerode (mit Unterschriften der Schulleitung, der Schulgewerkschaftsleitung und des Elternbeirates) am 7. Dezember 1951 an die Rbd Magdeburg. Es würden 25 Kinder aus Alexisbad und 43 Kinder aus Silberhütte die Schule in Harzgerode besuchen, die früh mit dem Zug fahren würden. Nachmittags gebe es allerdings erst die Möglichkeit, 16.12 Uhr zurückzufahren. Es fehle eine Mittagsverbindung, so dass „dringendst“ darum gebeten wurde, ab 1. Januar 1952 eine entsprechende Verbindung einzurichten. Auch diesen Wunsch lehnte die Rbd am 12. Dezember ab.
Der Bürgermeister der Gemeinde Straßberg (Harz) sah sich auf Grund von Kritiken in einer Einwohnerversammlung am 3. Januar 1952 (Themen waren der Volks- und Dorfwirtschaftsplan 1952) veranlasst, am 6. Januar an den Kollegen Schwarze – Fahrdienstleiter im Bf Lindenberg (Harz) – zu schreiben. Die Werktätigen würden zu Recht das Einlegen eines Abendzuges fordern. Nach einem Besuch von Ämtern in Quedlinburg müsse man dort bereits 15.10 Uhr den Zug nach Gernrode (Harz) nutzen, um den letzten Zug nach Lindenberg (Harz) zu erreichen (Gmp 9686). Es wurde daher erwartet, dass der Gmp 9688 bis nach Lindenberg (Harz) durchfahren solle. Ebenso wurde gewünscht, dass sonn- und feiertags – Tagen, an denen gar kein Zug Lindenberg (Harz) erreichen würde – wenigstens ein Zugpaar eingelegt werde, welches morgens Lindenberg (Harz) verlässt und gegen 20 Uhr zurückkommen solle.
Kollege Schwarze konnte allein natürlich nichts regeln. Er gab das Schreiben an die für Lindenberg (Harz) zuständige Dienststelle, den Bf Harzgerode, weiter. Diese reichte das Schreiben mit einem Begleittext am 11. Januar 1952 an das Reichsbahnamt (Rba) Halberstadt. In diesem Text führten die Eisenbahner aus, dass zwar drei Loks in Gernrode (Harz) zur Verfügung stünden, davon wegen notwendiger Reparaturen aber in der Regel nur zwei einsatzbereit seien. Für eine verbesserte Anbindung sei der geplante Wiederaufbau bis Stiege notwendig. Für den Fall, dass dies 1952 noch nicht möglich sein sollte, schlug der Bahnhof Harzgerode vor, die Strecke bis Güntersberge (Harz) wiederaufzubauen, da es dort einen Lokschuppen gebe. Damit könne der Leerzug (mit Güterbeförderung?) von Gernrode (Harz) nach Lindenberg (Harz) für den P 1873 nach Alexisbad (mit Anschluss an den Gmp 9673) entfallen. Dass dann auch der Gmp 9689 in der Gegenrichtung hätte entfallen müssen, wurde verschwiegen. Das Rba Halberstadt gab bereits am Folgetag das Schreiben an die Rbd Magdeburg weiter und kommentierte, dass in Halberstadt nicht bekannt sei, ob und wann mit dem Neubau der Strecke nach Stiege zu rechnen sei. Für günstigere Verbindungen fehlten einfach die Betriebsmittel. Die Rbd spielte den Ball am 15. Januar 1952 an das Rba zurück – verbunden mit der Aufforderung, bis 24. Januar zu prüfen, ob der Gmp 9688 zunächst nach Lindenberg (Harz) und dann erst nach Harzgerode fahren könne. Das Rba wiederum gab den Vorgang an den Bf Harzgerode und bat unter Beteiligung des Lokdienstes um sofortige Prüfung des Anliegens der Rbd. Der Bf Harzgerode lehnte am 21. Januar den Vorschlag ab, da für Reisende von Gernrode (Harz) nach Harzgerode eine Wartezeit in Alexisbad von 72 Minuten entstehen und die Dienstzeit für das Lokpersonal sich um zwei Stunden verlängern würde. Hierfür stünde dem Lokbahnhof Gernrode (Harz) kein Personal zur Verfügung. In diesem Sinne antwortete dann die Rbd Magdeburg der Gemeinde Straßberg (Harz) am 29. Januar 1952.
Fahrzeugmangel bei Rbd bekannt – aber Lösung?
Die Probleme wurden aber offensichtlich auch auf höherer Ebene bekannt. So bat der Vizepräsident der Rbd Magdeburg am 8. Januar 1952 die Betriebsabteilung um Berichterstattung. Dort wurde dies wohl als dringend angesehen, denn bereits am 10. Januar schrieb der zuständige Fahrplanbearbeiter 21 R 12 mit Unterschrift seines Abteilungsleiters an den Vizepräsidenten. Ausgeführt wurde u. a., es stünden weiterhin nur zwei einsatzfähige Dampfloks zur Verfügung. Wegen der Notwendigkeit des Auswaschens an Sonntagen könne auch weiterhin sonn- und feiertags nur ein Zugpaar (Gmp 9673 und 9688) gefahren werden. Zum Beweis der eigenen Aktivitäten wurde auf ein Schreiben an den Dezernenten 42 vom 30. März 1951 verwiesen, auf welches der Betriebsmaschinenkontrolleur (42 Bmktr 1) am 16. April geantwortet habe, dass keine weitere Lokomotive zur Verfügung stünde. Ein Umsetzen einer Dampflok von Wernigerode Westerntor nach Gernrode (Harz) würde das Problem nur verlagern. Der in Gernrode (Harz) stationierte Triebwagen (VT 133 522) könne wegen seines Zustandes für Regelzüge nicht mehr eingesetzt werden. Weiter wurde im Schreiben der Betriebsabteilung darauf verwiesen, dass im Gegensatz zu ursprünglichen Planungen auf das vorübergehende Umsetzen von zwei Personenwagen von Gernrode (Harz) nach Wernigerode Westerntor verzichtet werde, da die Wintersportlandesmeisterschaften in Schierke nicht stattfinden würden.
Die Betriebsabteilung der Rbd Magdeburg schrieb am 11. Januar 1952 erneut an die für den Lokeinsatz zuständige maschinentechnische Abteilung und bat unter Hinweis auf zahlreiche Beschwerden um die Zuweisung einer dritten Einsatzlok für Gernrode (Harz) bis zum nächsten Fahrplanwechsel am 18. Mai. Der Abteilungsleiter der maschinentechnischen Abteilung antwortete am 18. Januar und verwies erneut darauf, dass mit dem Umsetzen einer weiteren Lok von Wernigerode Westerntor nach Gernrode (Harz) die Probleme nur verschoben würden. Da der Neubau von Dampfloks für 1000-mm-Spur zugunsten dringender Exportaufträge zurückgestellt sei, könne auch mit einer besseren Lage in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden. Die einzige Möglichkeit bestünde darin, die beiden in Blankenburg (Harz) stehenden Loks (gemeint sind 99 5631 und 99 5632) umzubauen, die Verhandlungen mit dem Technischen Amt hierzu seien aber noch nicht abgeschlossen. Es wurde daher gebeten, den Sommerfahrplan 1952 unverändert zu planen. Der Leiter der Betriebsabteilung wies das am 21. Januar genauso an.
Am 4. Februar 1952 gab es bei der DR einen zusätzlichen Fahrplanwechsel. Mit diesem wurde auf den generell bestehenden Fahrzeug- und Personalmangel reagiert. Auf der Selketalbahn kam es allerdings im Reisezugverkehr zu keinen Veränderungen. Am 14. März 1952 vermerkte der Fahrplanbearbeiter handschriftlich, dass ab 1. Mai in Gernrode (Harz) eine dritte Lok zur Verfügung stehen würde. Unter dem 24. März schrieb der Abteilungsleiter, dass nach Rücksprache mit dem Betriebsingenieur Maschinentechnik des Rba Halberstadt die dritte Lok nur als Reserve vorgehalten werden solle.
Es wird weitere Kritik laut
In der Sitzung der Gemeindevertretung Harzgerode am 14. März 1952 legte die dortige Ortsgruppe der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands einen Antrag vor, sich für einen veränderten Fahrplan auf der Strecke Gernrode (Harz) – Harzgerode einzusetzen. Kern des Antrages war, den Gmp 9688 eine Stunde früher fahren zu lassen, da der Anschlusszug aus Quedlinburg bereits 17.04 Uhr in Gernrode (Harz) eintraf. Die Gemeindevertretung folgte dem Antrag und der Rat der Stadt Harzgerode richtete am 19. März ein entsprechendes Schreiben an die Rbd Magdeburg. Am 24. März gab die Rbd das Schreiben weiter an das Rba Halberstadt zur Stellungnahme bis zum 2. April. Das Rba forderte am 27. März vom Bf Gernrode (Harz) unter Beteiligung des Lokdienstes eine Aussage. Während der Bf Gernrode (Harz) keine Einwände erhob, betonte der Lokbf Gernrode (Harz), dass bei einem Umsetzen des Vorschlages die Gmp 9686 und 9687 entfallen müssten. Am 8. April lehnte schließlich das Rba gegenüber der Rbd den Vorschlag aus Harzgerode ab. Aus Halberstadt wurde zusätzlich darauf hingewiesen, dass im neuen – ab 18. Mai gültigen – Fahrplan Ankünfte in Gernrode (Harz) aus Quedlinburg 18.09 und Aschersleben 18.12 Uhr vorgesehen seien. In diesem Sinn antwortete die Rbd Magdeburg schriftlich am 5. Mai. Am 7. April 1952 beklagte sich dann das Verkehrsbüro der Stadt Quedlinburg schriftlich bei der Rbd Magdeburg, dass an Sonn- und Feiertagen eine Fahrtmöglichkeit auf der Selketalbahn fehle. Die Werktätigen der Kreise Quedlinburg, Oschersleben (Bode) und Bernburg hätten so nicht die Möglichkeit, die „schönen Harzorte Mägdesprung, Alexisbad, Silberhütte und Lindenberg“ zu besuchen. Ohne weitere Rücksprache antwortete die Rbd Magdeburg am 3. Mai mit dem bekannten Einheitstext auch hier abschlägig. Letztlich blieb alles unverändert. Es war wie auch heute: Viele gut gemeinte Vorschläge zum Fahrplan, die aber zu Lasten anderer Fahrgastgruppen gingen oder einen erhöhten Aufwand (Fahrzeuge, Personal) erforderten, der nicht darstellbar war. Der Sommerfahrplan 1952 [3] entsprach dann auch erneut dem Winterfahrplan 1951/52. Lediglich der Gmp 9684 W fuhr durchweg sieben Minuten später.
Quellen
- /1/ Amtliches Kursbuch Deutsche Demokratische Republik, Sommerfahrplan 1951, Nachdruck, Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza, 2020.
- /2/ Amtliches Kursbuch Deutsche Demokratische Republik, Winterfahrplan 1951/52, Nachdruck, Ritzau KG, Verlag Zeit und Eisenbahn, Pürgen, 1999.
- /3/ Amtliches Kursbuch Deutsche Demokratische Republik, Sommerfahrplan 1952, Nachdruck, Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza, 2020.
19.02.2023