Eisenbahn-Geschichte
Die Strecke Wolkenstein – Jöhstadt vor 40 Jahren – das 90. Betriebsjubiläum
Bereits Anfang der 1980er Jahre wussten wir Eisenbahnfreunde, dass die Preßnitztalbahn ihr 100. Streckenjubiläum nicht mehr erleben würde, denn im Maßnahmeplan zur Perspektive der im Netz der Deutschen Reichsbahn (DR) verbleibenden Schmalspurstrecken vom 17. September 1973 waren in der Rbd Dresden nur vier Schmalspurbahnen enthalten. Die Strecke Wolkenstein – Jöhstadt fehlte dabei genauso wie auch die Reststrecke vom Mügelner Netz von Oschatz nach Kemmlitz. Letztere wurde jedoch für den Kaolintransport weiterhin benötigt und „erbte“ in den 1980er Jahren sogar einen Teil des Rollmaterials der Preßnitztalbahn – zahlreiche Rollwagen und IV K. Anfangs wirkte die angestrebte Betriebseinstellung völlig absurd, denn die schmale Preßnitztalstraße war nicht für den Lastkraftwagen- und Omnibusverkehr geeignet. Beschädigungen an Leitplanken zeugten hier mitunter von „Kreuzungen“ der größeren gummibereiften Fahrzeuge. Und für den Betriebsteil Niederschmiedeberg des VEB dkk Scharfenstein stellte die Schmalspurbahn sogar eine Art Lebensader dar.
Um sich nicht den Unmut von Anwohnern, Eisenbahnern und Eisenbahnfreunden auszusetzen, wurde von den Verantwortlichen der DR eine Art „Verschleierungstaktik“ betrieben. So galt für die Medien ab 1980 eine Informationssperre zur geplanten Stilllegung. Auch alle Feierlichkeiten zum 90-jährigen Streckenbestehen fielen dem Verbot der Reichsbahnoberen zum Opfer. Trotzdem gab es mehrere voneinander unabhängige Einzelaktivitäten, um das mutmaßlich letzte „runde“ Streckenjubiläum zu feiern. So ließ sich zum Beispiel der Kulturbund der DDR von der Deutschen Reichsbahn nicht einschüchtern und widmete in seinem Jahrbuch „Erzgebirge 1982“ der 90-jährigen Preßnitztalbahn einen ausführlichen Beitrag von Günter Baldauf. Dieser endete mit dem Satz: „… nach der Lösung umfangreicher güterverkehrsseitiger Probleme im Zeitraum bis 1985 zur Auflassung vorgesehen.“ Leider waren diese „Jahrbücher sozialistischer Heimatgeschichte und Heimatkunde“ trotz hoher Auflage damals relativ schnell vergriffen. Heute gibt es sie gar nicht mehr, denn das „Jahrbuch für das Erzgebirge“ erschien vor zehn Jahren zum letzten Mal. Dann musste der Erzgebirgsverein e. V. diese Publikation des nunmehr freien Journalismus mangels Leserinteresse aufgeben.
Kürzlich brachte ein Diafund vom verstorbenen Eisenbahnfreundes Hansjürgen Meyer aus Schwarzenberg neue Erkenntnisse zum 90. Jahrestag der Betriebseröffnung der Preßnitztalbahn. Trotz des Verbots war es gelungen, die IV K 99 1583-6 mit entsprechendem Festschmuck in den Bahnhof Jöhstadt einfahren zu lassen. Diese Aktion war wohl damals recht kurzfristig organisiert worden. Das war auch verständlich, denn zu viele Mitwisser hätten diese Aktion unter den damaligen Verhältnissen sicherlich gefährdet.
Wir, die Freunde der damaligen AG 3/73 Oberlungwitz/Mittelbach des DMV, haben aus dem gleichem Anlass am 19. Juni 1982 eine „Exkursion“ zur Schmalspurstrecke Wolkenstein – Jöhstadt unternommen. Mit von der Partie waren einige Mitglieder der AG 4/20 „Saalebahn“, die wir vom 18. bis 20. Juni 1982 als Gäste empfingen. Aufgrund der Streckeneröffnung der Preßnitztalbahn am 1. Juni 1892 war dazu eigentlich das besser passende Wochenende 29./30. Mai 1982 vorgesehen, aber das hatte vor 40 Jahren nicht funktioniert.
Im damaligen Veranstaltungsprotokoll kann der Hergang dieser Exkursion noch nachgelesen werden: „Die Freunde mit Pkw oder Krad trafen sich bereits 6.30 Uhr an der F 173 in Oberlungwitz. Start der Exkursion war 7 Uhr am Gasthaus „Schweizerhaus“. Für die Bahnfahrer ging es bereits 6.19 Uhr in Wüstenbrand los, sie kamen 8.41 Uhr in Wolkenstein an. Unser Zug nach Jöhstadt fuhr 9.35 Uhr hier ab.“
Darüber hinaus mussten noch „Überraschungen“ organisiert werden. Eine Doppelbespannung des P 14287 am 19. Juni und vielleicht noch Girlanden an beiden IV K nebst einer „90“ an der Rauchkammer der Vorspannlok waren nicht möglich, ein bescheidenes Jubiläumsschild am Gepäckwagen musste also genügen. Dennoch gab es auch etwas Positives anlässlich des Festes, denn unsere AG hatte es organisieren können, dass der Zug unter den musikalischen Klängen der Berg-, Knapp- und Brüderschaft in den Bahnhof Jöhstadt einfuhr.
Hier standen auch schon Mikrofon und Lautsprecherboxen für eine Ansprache bereit. Irgendwie fand das alles aber in einer gedrückten Stimmung statt. Es war ein wenig Angst dabei, dass unser Mini-Bahnhofsfest auffliegt. So wurde trotz des offiziellen Verbotes das 90. Streckenjubiläum gleich zweimal gefeiert.
Dann gab es noch etwas Ärger mit einer Jubiläumsansichtskarte, aber das ist eine andere Geschichte. Wer näheres dazu wissen möchte, dem sei das Buch „Anekdoten und Geschichten zur Preßnitztalbahn“ (ISBN 978-3-96564-001-6) empfohlen. Dass es doch noch eine 100-Jahr-Feier mit einem Neubeginn für unsere Schmalspurbahn geben sollte, konnte damals wirklich keiner ahnen …
14.06.2022