Eisenbahnen außerhalb Europas
Schmalspurige und andere schnelle Eisenbahnen in Taiwan, R.O.C. - Teil 5
Fast 3000 Kilometer Zuckerbahnen auf 762 mm
Eine Betrachtung der Eisenbahnen von Taiwan wäre auf jeden Fall unvollständig, wenn man die Bahnen der Zuckerindustrie außer Acht lassen würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichnet die Statistik der Taiwan Sugar Corporation eine Gesamtlänge der Strecken von 2964,6 km. Wenn man diese Fläche – in der Karte zum besseren örtlichen Verständnis violett gekennzeichnet – mit einer Ausdehnung von etwa 200 km Nord-Süd und 50 km Ost-West dazu ins Verhältnis setzt, sind das immerhin fast 300 m Gleis je km². Zur Veranschaulichung der Dimensionen hilft ein Vergleich mit der Grundfläche Sachsens von rund 18 000 km². Darauf lagen im Jahr 1920 Schmalspurgleise auf 519,88 km Länge und insgesamt 3370 km Gleis in allen Spurweiten zusammen, womit Sachsen auf eine „Eisenbahndichte“ von 187 m Gleis je km² kam, was auch für Deutschland einen herausgehobenen Wert darstellte. Mithin dürfte die Länge der Zuckerrohrbahnen auf Taiwan wiederum einen Rekord darstellen.
1. Zucker als Wirtschaftsfaktor
Durch die Japaner wurde die damals Formosa genannte Insel Taiwan Anfang des 20. Jahrhunderts auf vielfältige Weise industriell geformt und verändert. Die guten klimatischen Verhältnisse sowie vorliegenden topografischen Bedingungen boten beste Voraussetzungen, den Zuckeranbau im westlichen Flachland zwischen Taichung und Kaohsiung industriell aufzubauen. In diesem Gebiet entstanden ab 1903 rund 50 Zuckerfabriken, im Jahre 1906 begann der Aufbau erster Gleisstrecken. Zunächst wurden Loren mit dem geernteten Zuckerrohr durch Wasserbüffel gezogen, aber bereits ab 1907 kamen auf ersten Strecken Dampfloks zum Einsatz. Am 20. Mai 1909 nahm die Zuckerindustrie auf einer der Hauptlinien der Zuckerbahnen den öffentlichen Personenverkehr auf. Auch wenn der Großteil der Zuckerbahnen miteinander verbunden war, so orientierte sich die Betriebsorganisation zunächst durch die Zuckerverarbeitungswerke lokal. In einem Radius von etwa 10 bis 20 km wurde in der Regel der Erntebereich einer Zuckerfabrik zugeordnet, erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erweiterte sich der Einzugsbereich teils deutlich durch Ausbau der Kapazitäten der größeren Fabriken und Schließung kleinerer Verarbeitungsbetriebe. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges waren durch amerikanische Luftangriffe auch viele Zuckerfabriken und Gleisanlagen in Mitleidenschaft gezogen worden, doch die nach dem Krieg auf dem Weltmarkt noch vorherrschende große Nachfrage ließ die „Taiwan Sugar Corporation“ (TSC) den Betrieb und die Organisation der Werke und der Transportmittel schnell wieder aufbauen und optimieren. Auf rund 675 km Streckenlänge gab es 1953 auf 41 Linien der TSC insgesamt über 600 Personenzugverbindungen, die das Land auch flächenmäßig als Nahverkehrsmittel erschlossen. Im Jahr 1958 weist die Statistik bis zu 60 000 Fahrgäste pro Tag in diesen Zügen auf.
2. Schwindende Bedeutung
Durch vielerlei Einflüsse auf dem Weltmarkt reduzierte sich die Menge des in Taiwan produzierten Zuckers ab den 1960er Jahren stetig. Einerseits war die Produktion nicht steigerbar, gleichzeitig stiegen aber die Produktionskosten im Vergleich zu den internationalen Wettbewerbern. Im Jahr 1977 betrug die Zuckerproduktion noch etwa eine Million Tonnen, das waren 50 % weniger als noch zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Ab den 1980er Jahren entwickelte sich Taiwan von einem Exporteur zu einem Importeur von Zucker, 2010 gab es nur noch drei Fabriken und eine Raffinerie. Mit dem Niedergang der Zuckerproduktion reduziert sich ab 1960 auch jährlich die Streckenlänge der Zuckerbahnen. Hatte das befahrene Netz im Jahr 1960 noch eine Länge von 588,5 km, so reduzierte sich dieses 1969 auf 504,8 km und 1974 auf 222,2 km. Im Jahr 1982 wurde der Personenverkehr auf den schmalspurigen Zuckerbahnen schließlich beendet. Mit der Einstellung von Zuckerfabriken in ganz Taiwan nahm entsprechend auch das Aufkommen des Zuckertransportes ab. Im Jahr 2008 endete der letzte Zuckerrohrtransport mit der Eisenbahn, lediglich ein Werk nutzt die Eisenbahn (gemäß Quellenlage aus dem Jahr 2014) noch für den Abtransport des verpackten Zuckers zu den Umladeplätzen auf der Insel.
3. Betriebsmittel
Die Zuckerbahnen waren überwiegend mit 762 mm Spurweite ausgeführt, nur ein kleiner Teil der Gleisanlagen insbesondere bei Zuckerfabriken in der Nähe zu den TRA-Strecken wurde in 1067-mm-Spurweite betrieben. Das ergab insbesondere in diesen Fabriken interessante Betriebsabläufe, bei denen 762-mm-Waggons mittels 1067-mm-Lokomotiven auf Drei- oder Vierschienengleisanlagen verschoben wurden. Ab den 1930er Jahren kamen zunehmend auch Dieselloks zum Einsatz, wobei die Dampfloks bis in die 1970er Jahre weiterhin präsent waren. Die Dampfloks stammen überwiegend aus japanischer oder belgischer Produktion (Les Ateliers de Tubize Locomotive Works), während die Dieselloks der Zuckerbahnen von japanischen Herstellern, aber auch deutschen Produzenten (Schöma, Diema) geliefert wurden. Mehrere dieser Dieselloks sind bis heute noch einsatzfähig. Für den Transport des Zuckerrohres wurden sehr einfache zweiachsige Flachwagen mit sehr hohen Stirnwänden und oftmals mit Planendach eingesetzt. Das geschnittene Zuckerrohr wurde auf den Wagen teilweise mehrere Wochen zur Trocknung zwischengelagert. Die Entladung der Waggons erfolgte weitgehend automatisch durch spezielle Kippvorrichtungen, mit denen die Wagen in entsprechende Auffangtrichter ausgekippt wurden. Der Vortrieb in den Entladeanlagen war ebenfalls weitgehend automatisiert.
4. Verbliebene Zeugnisse
Rund 3000 km schmalspuriger Zuckerbahngleise verschwinden natürlich nicht völlig spurlos, jedoch muss man inzwischen 30 Jahre nach der Einstellung der meisten Strecken schon sehr genau suchen. Fünf Streckenstücke werden heute touristisch erhalten und betrieben, auf zwei Strecken sind neben Dieselloks auch Dampfloks im Einsatz.
Quellen
Die Quellenlage zu den Zuckerbahnen ist in Englisch sehr dürftig, in der chinesischen Wikipedia sind verschiedene Artikel zu finden, die man mit Hilfe der Webseitenübersetzung rudimentär als Quelle nutzen kann. Weiterführende Informationen sind vor Ort in den bei den Bahnen vorhandenen Informationstafeln und Ausstellungen zu finden.
03.02.2017
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