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Rezensiert: Eisenbahn Triptis - Marxgrün | Eine Nebenbahn im Strudel der Geschichte
Steffen Höbelt
Eisenbahn Triptis - Marxgrün
Eine Nebenbahn im Strudel der Geschichte
264 Seiten Format A4, gebunden im stabilen Hartpappeinband mit 270 Abbildungen sowohl farbig als auch schwarzweiß Eigenproduktion, Ziegenrück 2016. ISBN: 978-3-00-053242-9 Preis: 29,90 Euro (ohne Versand)
Anders als es der Buchtitel erwarten lässt, veröffentlichte Steffen Höbelt im vorigen Herbst keine klassische Streckenbeschreibung der knapp 70 km langen Eisenbahnstrecke vom thüringischen Triptis ins oberfränkische Marxgrün. Dennoch begeisterte das vom Buchhandel nicht lieferbare Werk den Rezensenten, denn es enthält minutiöse Schilderungen, die den erwarteten Horizont bei weitem übersteigen! Schon auf der Rückseite des Buches kündigt der Autor genau das an: „Dieses Buch widmet sich vorwiegend dem wohl turbulentesten Jahrzehnt ihrer Geschichte. 1933 rückte die Bahnlinie ins Visier des Militärs und in den Folgejahren flossen Millionen Reichsmark in ihren Ausbau. Neben verlängerten Kreuzungsgleisen, neuen Stellwerken und Lokbehandlungsanlagen entstanden zwei völlig neue Betriebsbahnhöfe! Warum aber hier?“ Die intensive Recherche des Autors förderte Erstaunliches zu Tage! Denn die Nebenbahn im Osten Thüringens spielte in den Planungen des Generalstabs für den Zweiten Weltkrieg eine wesentliche Rolle. Höbelt deckt schier unglaubliche Zusammenhänge zwischen den genannten Ausbauten und dem „Westfeldzug“, aber auch der Sudetenkrise und dem Russlandfeldzug auf. Ist ein Thüringer Eisenbahnfreund wieder einmal auf den Spuren von Baron Münchhausen unterwegs? Steffen Höbelt mitnichten! Seine Aussagen untermauert er wissenschaftlich korrekt mit Akten aus Bundesarchiven, aus dem Thüringer Hauptstaatsarchiv und aus anderen zweifelsfrei glaubwürdigen Quellen. Demnach war übrigens bereits in den 1930er Jahren ein neuer Schienenweg zwischen Weimar und Coburg geplant, der in seinem Verlauf fast dem mehr als 70 Jahre später umgesetzten Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 8.1 von Erfurt nach Nürnberg entspricht! Höbelts ausführliche Darstellungen der Streckenertüchtigung sind jedoch eine Fundgrube für (Eisenbahn-)Historiker weit über den thüringisch-fränkischen Raum hinaus! Seine Veröffentlichung enthält brisante Informationen von mitteleuropäischer Bedeutung, die der Rezensent hiermit auch Eisenbahnfreunden aus Österreich, Frankreich, Polen, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der Tschechoslowakei ans Herz legt. Neben den Aufmarschplänen und teils fast ermüdend genauen Beschreibungen, welcher Schwerverbrecher der NS-Führung wann, warum und wie in einem Reichsregierungszug über die Linie fuhr – oder eben nicht, bietet das Buch dennoch auch ein wertvolles Grundgerüst an Informationen zur eigentlichen Geschichte der Eisenbahnstrecke Triptis – Marxgrün. Es enthält alle Rahmenangaben zur Projektierung, zum Bau, zur Eröffnung und zum Betrieb dieser regelspurigen Nebenbahn. Der Autor stellt jede Station mit allen für ihn greifbaren Aspekten vor – von der Eröffnungszeit bis heute. Wie Höbelt selbst einräumt, legte er aber kein umfassendes und abschließendes Werk über die Geschichte der Nebenbahn vor. Im Wesentlichen reiht er Fakten und Daten aneinander. Fast die Hälfte des Buches macht deshalb der Anhang aus, der in Faksimile-Form alte Akten, Zeichnungen, Tabellen etc. wiedergibt. Die darin enthaltenen Informationen muss der Leser damit in seinem Kopf leider selbst zu einem Bild vervollständigen. Andererseits bietet das Buch als Materialsammlung eine hervorragende Ausgangsbasis für eine „normale“ Streckenmonographie. Sollte sich Steffen Höbelt das selbst zum Ziel setzen, dann wäre ein gründlicheres Lektorat sehr wünschenswert. Seine vor allem typographischen Schwächen beim Setzen von Streckenstrichen, Bindestrichen, Kommas und Abkürzungen erschwert den Lesefluss des hier besprochenen Buches. Wer nicht alle Stationen genau kennt, fragt sich häufig, ob Höbelt gerade über einen Ort mit Doppelnamen oder über den Anfangs- und Endpunkt einer ganzen Eisenbahn schreibt. Etwas enttäuschend ist es auch, dass Höbelt als Eisenbahner bei mehreren gängigen Eisenbahnbegriffen ein unbeholfenes Deutsch an den Tag legt und Eigennamen missachtet. Inhaltliche Wiederholungen am Anfang des Buches beeinträchtigen seine Fleißarbeit ebenfalls, so wie vermutlich viele Leser dankbar darüber sein dürften, anstatt „man nahm den Verkehr auf“ präzise zu lesen, welche Eisenbahngesellschaft das tat. Sätze mit „man“ unterschlagen wichtige Informationen! Allerdings sind diese Mängel im vorliegenden Buch verschmerzbar. Denn für die zusammengetragenen Fakten – nicht nur aus Archiven, sondern auch durch die Befragung letzter noch lebender Zeitzeugen – gebührt Steffen Höbelt große Anerkennung und Dank! An der Eisenbahnstrecke als solches Interessierte werden die Lektüre dieses Buches nicht bereuen. Und das auf dem Buchtitel abgebildete Markenzeichen der Linie – die Ziemestalbrücke bei Liebschütz – stellt der Autor natürlich ebenfalls mit Wort, Bild und Zeichnungen vor. Das ist ein Stichwort: Die vielen abgedruckten Gleispläne machen das Werk nicht zuletzt für Modelleisenbahner attraktiv.
Fazit: Ein Buch, was es in sich hat! Textlich nehmen aber die Beschreibungen der Ereignisse 1933 bis 1945 deutlich mehr Raum ein als die der Jahre 1894 bis 1933 und 1945 bis heute. Andere Angaben finden sich nur im übergroßen Anhang. Trotzdem – bzw. gerade deshalb – ist dieses Werk für Freunde der Strecke, unbedingt aber auch für Geschichtsinteressierte aus ganz Mitteleuropa eine wahre Fundgrube! Die gedruckte Auflage ist mit 500 Exemplaren sehr gering – also rasch diese Fleißarbeit bestellen!
Bestellungen online über www.hemmkoppe.net oder per Post bei Steffen Höbelt, Schleizer Straße 17, D-07924 Ziegenrück (6 Euro Verstandkosten)
03.02.2017