Aktuelles von der Rhodopenbahn

In den 1920er Jahren eröffneten die Bulgarischen Staatseisenbahnen (BDŽ) die ersten Teilabschnitte der mit einer Spurweite von 760 mm ausgeführten Rhodopenbahn, die heute auf einer Länge von 125 km von Septemwri – an der regelspurigen Hauptstrecke von Sofia nach Plowdiw gelegen – nach Dobrinischte führt. Über das genaue Eröffnungsjahr des ersten Teilabschnittes durch die Chepino-Schlucht gibt es in der Literatur und im Internet verschiedene Angaben. Belegt ist, dass die Bahn ab 1. August 1926 den am Streckenkilometer 38,8 gelegenen Bahnhof des Dorfes Ladzene (1948 mit zwei anderen Dörfern zur Stadt Welingrad vereinigt) anfuhr – bereits 1922 könnte der Abschnitt bis Dolene in Betrieb genommen worden sein. In den darauffolgenden zwei Jahrzehnten erreichte die Rhodopenbahn inklusive einer heute abgebauten Flügelstrecke von Warwara nach Pasardschick mit ca. 140 km ihre größte Ausdehnung. Im Jahr 1945 erfolgte die letzte Erweiterung vom Höhenkurort Bansko zum heutigen Endpunkt Dobrinischte.

Zuvor erhielt die Rhodopenbahn im Jahr 1941 die ersten fünf von der Berliner Maschinenbau AG vormals Louis Schwartzkopff (BMAG) gebauten Dampflokomotiven der Reihe 600.76, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu den ab 1928 in Berlin und von der Sächsischen Maschinenfabrik vormals Richard Hartmann AG in Chemnitz für die sächsischen Schmalspurbahnen gebauten 750-mm-Einheitslokomotiven auch deutschen Eisenbahnfreunden bekannt sind.

Im Jahr 1949 folgten zehn weitere Lokomotiven dieser Reihe, welche die Firma Fablok im polnischen Chrzanów gebaut hatte. Bis 1977 schieden die „bulgarischen VII K“, denen bereits im PK 122 ein Beitrag gewidmet war, aus dem regulären Eisenbahnbetrieb aus, nachdem sie etwa zwei Einsatzjahrzehnte vorrangig im Güterzugdienst genutzt worden waren. Seitdem prägen ausschließlich die Henschel-Diesellokomotiven der Reihe 75 sowie die der von FAUR in Rumänien gelieferten Reihen 76 und 77 das Betriebsgeschehen auf der letzten bulgarischen Schmalspurbahn. Weniger bekannt ist, dass neben den vierachsigen in Kassel gebauten Lokomotiven der Reihe 75 und den von der BMAG hergestellten Dampflokomotiven ab 1963 auch zwei weitere aus Deutschland stammende Diesellokomotiven zum Fahrzeugbestand der Rhodopenbahn gehörten: zwei vom LKM in Babelsberg mit den Fabriknummern 250314 (BDŽ 91-02) und 250315 (BDŽ 91-03) gebaute V10C.

Im Jahr 2022 ist die Situation bei der Rhodopenbahn ein Spiegelbild der allgemeinen, wirtschaftlich schwierigen Lage der Bulgarischen Staatseisenbahnen. Der Fahrplan sieht täglich sieben Reisezugpaare vor, wovon drei Zugpaare auf Teilstrecken verkehren sollen. Dafür benötigt man vier betriebsfähige Lokomotiven, die es jedoch nicht immer gibt. Deshalb verkehrt seit etwa Ende März das eigentlich von Septemwri bis Awramowo führende Mittagszugpaar 16221/16222 lediglich als Bus und nur bis Welingrad. Dadurch und mit einigen kleineren Änderungen am Abend ist der tägliche Betrieb auch mit drei Lokomotiven möglich, die im Laufe des Jahres aber auch nicht jeden Tag zur Verfügung standen …

Fast alle Triebfahrzeuge werden von Septemwri aus eingesetzt, lediglich die Lokomotive des Zuges 16107 übernachtet nach einer Lokzugfahrt ab Dobrinischte im Lokschuppen in Bansko. Die Lok und der Wagen des Zuges 16220 werden dem Zug 16101 bis Welingrad mitgegeben. Von dort fahren sie nach einer 2,5-stündigen Frühstückspause nach Septemwri zurück. Am Abend ergibt sich mit den Zügen 16223 und 16108 das gleiche in umgekehrter Reihenfolge. Regulärer Güterverkehr findet auf der Rhodopenbahn schon seit Jahren nicht mehr statt, es gibt lediglich noch fallweise Transporte von Gleisbaumaterialien.

Für die Züge stehen aktuell maximal vier betriebsfähige Lokomotiven zur Verfügung, von denen sich eine meist vor Ort in Reparatur befindet. Im September 2022 waren die vier Henschel-Lokomotiven 75.004, 75.005, 75.006 und 75.009 vorhanden. Die ebenfalls in Kassel gebaute 75.008 wurde mit Wiederinbetriebnahme der in den vergangenen sechs Monaten aufgearbeiteten 75.004 der Werkstatt in Septemwri zugeführt, wo auch die in Ruse bei „Express Service“ umgebaute FAUR-Lok 77.002 seit April 2022 auf ihre Zulassung wartet. Als Grund dafür werden Streitigkeiten zwischen „Express Service“ und dem Leiter der Zulassungsbehörde angeführt. Die Lok 77.009 befindet sich aktuell im Umbau, der aus finanziellen Gründen nur langsam voranschreitet.

Kommentar: Probleme heute und Ausblicke ins nächste Jahr:

Folgen des beschriebenen Triebfahrzeugmangels sind gestrichene Züge aufgrund technischer Probleme – neben vereinzelter Schäden an den Wagen sind regelmäßig ein bis zwei Lokausfälle pro Woche zu beklagen. Im September gab es in einzelnen Fällen nicht einmal Ersatzbusse, stattdessen wird lediglich im Internet auf den nächsten Zug verwiesen – bei einem annähernden Vierstundentakt keine kundenfreundliche Alternative. Erschwerend kommen für die Reisenden verschleppte Verspätungen hinzu, da in Septemwri die Anschlusszüge aus Richtung Plowdiw und Sofia abgewartet werden. Durch die wenigen Kreuzungsbahnhöfe erhöhen sich die Verspätungen dann auf bis zu 90 Minuten, da die Bahnverwaltung den Zügen nach Septemwri Priorität einräumt. Die Wendezeit in Dobrinischte reicht in den extremen Fällen dann nicht aus, so dass auch die Rückleistungen mit Verspätung unterwegs sind.

Es bleibt die Hoffnung, dass es den BDŽ gelingt, bis zum kommenden Jahr den einsatzfähigen Triebfahrzeugbestand zu erhöhen, um den Fahrplan 2023, der im Entwurf nahezu identisch mit dem aktuellen ist, stabiler absichern zu können. Den Touristen und Anwohnern, welche die Züge der Rhodopenbahn trotz der angespannten Begleitumstände nach wie vor gut annehmen, ist es zu wünschen.

Hinweis

Auf in Bulgarien mit lateinischen Buchstaben geschriebenen Schildern wie auch auf vielen in Deutschland aktuell verkauften bzw. online einsehbaren Landkarten und Navigationsgeräten ist öfter die englische Transliteration der in Bulgarien kyrillisch geschriebenen Ortsbezeichnungen zu finden. Da der Preß´-Kurier auch von vielen älteren Eisenbahnfreunden gelesen wird, die schon vor diesem Trend in Bulgarien gewesen sind bzw. ältere Landkarten kennen, haben wir uns entschieden, in diesem Beitrag die deutsche Transliteration zu verwenden. Diese entspricht der im Deutschen gebräuchlichen Sprechweise.

Zusätzlich fügen wir hier folgende Konkordanz zur englischen Schreibweise an:

• Awramowo = Avramovo
• Dobrinischte = Dobrinishte
• Ladzene = Ladzhene
• Pasardschick = Pazardshik
• Plowdiw = Plovdiv
• Septemwri = Septemvri
• Warwara = Varvara
• Welingrad = Velingrad

Guido Wranik, Andreas Höglinger

06.10.2022