Schmalspurbahnen in Europa
Neues aus Hotzenplotz
Vor vier Jahren berichtete Martin Junge in den PK 138 und 139 erstmals über die Geschichte und den damaligen Betrieb der Hotzenplotzer Schmalspurbahn im Nordosten der Tschechischen Republik. Während der vergangenen vier Jahre hat sich sowohl auf den 760-mm-Gleisen der ČD-KBS 298 Třemešná ve Slezsku – Osoblaha (Röwersdorf – Hotzenplotz) als auch entlang der Strecke Erfreuliches und Unerfreuliches getan, so dass der Eisenbahnfreund anlässlich des am 28. und 29. September 2018 gefeierten 120. Streckenjubiläums den Blick auf das aktuelle Geschehen richtet.
Fast ein Jahr lang bereiteten sich die Slezské Zemské Dráhy (SZD, Schlesische Lokalbahnen) als Betreiberin der Touristenzüge, der Klub přátel osoblažské úzkokolejky (KPOÚ, Klub der Freunde der Hotzenplotzer Schmalspurbahn) sowie die Tschechischen Bahnen (ČD, České Dráhy) als Betreiberin der regulär verkehrenden Schmalspurzüge auf das Jubiläum der „Hotzenplotzerin“ vor. Doch trotz dieser langen Vorbereitungsphase sah es in der Woche vor dem 28. September 2018 noch so aus, als würde die Strecke an beiden Festtagen nur von den SZD-Dampfzügen befahren werden. Denn seit 2016 unterhalten die ČD nur noch eine einzige Schmalspurdiesellokomotive (die 705.913) und zwei Personenwagen der Gattung Balm/ú (zwei weitere sind abgestellt vorhanden). Wird die 705.913 schadhaft, wie am 22. September 2018 geschehen, muss Schienenersatzverkehr mit Bussen gefahren werden. Im Frühjahr 2018 zog sich dieser über mehrere Wochen hin. Aber noch rechtzeitig vor dem 120. Jubiläum besann man sich in der ČD-Unternehmensleitung in Prag der Außenwirkung eines Festes mit Schienenersatzverkehr und ordnete die sofortige Reparatur der Diesellokomotive an. Außerdem setzten die ČD einen regelspurigen Dampfzug als Zubringer aus Ostrava (Mährisch Ostrau), Opava (Troppau) und Krnov (Jägerndorf) ein, der in Třemešná ve Slezsku Anschluss an den Protokollzug nach Osoblaha hatte. Dieser war aus allen Wagen der SZD, ergänzt durch einen Balm/ú der ČD, gebildet und mit den zwei Dampflokomotiven (U57.001 Malý Štokr und U46.002 Rešica) bespannt. Beide Lokomotiven trugen Schilder, die auf das Streckenjubiläum hinwiesen – mit tschechischen und deutschen Ortsnamen!
Bevölkerung nimmt großen Anteil
Am Freitag, dem 28. September 2018, verkehrten neben dem ČD-Regelverkehr fünf Dampfzüge der SZD. Den Protokollzug erwarteten in den Orten an der Strecke nicht nur die Einwohner, sondern auch kurze Ansprachen der Bürgermeister, Musikvorführungen oder ein Theaterspiel. Dank des guten Wetters waren die Züge sehr gut besetzt, an beiden Tagen wurden allein in den Dampfzügen in Summe etwa 1500 Personen befördert. Auf Teilstrecken fuhren zudem historische Kraftomnibusse parallel zu den Zügen. Der vorgesehene und weit im Vorfeld des Jubiläums versprochene Gasteinsatz von mehreren Wagen der JHMD aus Südböhmen zerschlug sich im letzten Moment, so dass insbesondere am Freitag nicht alle Interessierten mitfahren konnten und der erwähnte Busparallelverkehr eine gute Nutzung erfuhr. Der Sonnabend war im Vergleich zum Freitag deutlich ruhiger, das Interesse jedoch nicht minder groß. Vier Dampfzüge waren auf der Strecke unterwegs. Als Höhepunkt für Gäste sowie Eisenbahnfreunde und auch für die Enthusiasten der SZD selbst gab es erstmals seit der Aufnahme des Dampfzugbetriebes durch die SZD im Jahr 2008 eine Zugkreuzung zweier Dampfzüge in Slezské Rudoltice (Rosswald). Mit der Ankunft des Dampfzuges 16.39 Uhr in Třemešná ve Slezsku endete zugleich die diesjährige Hauptsaison der SZD, lediglich im November und im Dezember wird es noch einzelne themenbezogene Fahrten geben. Auf den Bahnhöfen in Osoblaha, Slezské Rudoltice und Třemešná ve Slezsku erlebten die Besucher ein umfangreiches Programm und konnten in einem kleinen Ausstellungsraum in Třemešná ve Slezsku auch Informationen zur weiteren Entwicklung der Hotzenplotzer Schmalspurbahn erhalten. Sogar eine Projektstudie über die Verlängerung nach Racławice Śl. (Rasselwitz) in Polen war zu sehen – ob aus dieser Idee jemals Wirklichkeit wird, lässt sich noch nicht mit Gewissheit sagen; schon heute kommt jedoch ein Drittel aller Fahrgäste der Dampfzüge aus Polen. Wenn auch zweifelsohne die Dampfzüge der SZD und ČD die Hauptattraktionen waren, bot auch der Regelzugverkehr Ungewohntes: Um Reisegruppen zu befördern und den zweiten Wagen der Gattung Balm/ú an die SZD in Třemešná ve Slezsku zu überstellen bzw. von dort wieder abzuholen, fuhren am Donnerstag sowie am Sonntag einige Reisezüge mit zwei Balm/ú. Aufgrund des überwiegend geringen Fahrgastaufkommens und der angespannten Fahrzeugsituation gibt es diese Zugbildung nur noch sehr selten zu sehen.
Bahnhofsname Hotzenplotz wieder angeschrieben
Abseits der Feierlichkeiten, die gut organisiert und vielseitig waren, entwickelt sich das Hotzenplotzer Ländchen langsam, doch stetig zu einem beliebten Ausflugsgebiet für Kurzurlauber. Mehr noch als vor vier Jahren sind sich die meisten Anliegergemeinden und auch der Mährisch-Schlesische Bezirk der Bedeutung der Schmalspurbahn als auch des deutschen Namens der Stadt Osoblaha – Hotzenplotz – für das Prosperieren des Tourismus in dieser strukturschwachen Region bewusst: Bis zu 300 Touristen fahren an schönen Tagen mit den Dampfzügen der SZD, eine nicht unbedeutende Anzahl für die Gemeinden und ihre Infrastruktur. Erst im Sommer dieses Jahres wurde auf dem Hauptplatz der Stadt ein kleines Denkmal für den bekannten Räuber enthüllt. Im Jahr 2017 kaufte eine Genossenschaft aus vier Anliegergemeinden die Bahnhofsgebäude von Osoblaha, Bohušov (Füllstein), Koberno (Kawarn), Liptaň (Liebenthal) und Slezské Rudoltice mit dem Ziel auf, sie in den Zustand der ersten tschechoslowakischen Republik zurückzuversetzen und einer neuen Nutzung zuzuführen. Am 28. September 2018 wurde nach nur dreimonatiger Bauzeit das modernisierte Bahnhofsgebäude von Slezské Rudoltice fertiggestellt. Der Bürgermeister des Ortes selbst führte am 29. September 2018 stolz die Besucher durch die Räumlichkeiten, zu denen ein Wartesaal mit originalen Kacheln ebenso gehört wie ein Fahrkartenschalter und eine Wohnung. Die weiteren Gebäude sollen etwa im Jahresrhythmus folgen. Nicht durchsetzen konnte sich in den Gemeinden jedoch die für diese Zeit originalgetreue Beschriftung der Empfangsgebäude – so werden, außer in Osoblaha, auch weiter nur die tschechischen Namen zu lesen sein. Der Bürgermeister des Ortes weiß um den Werbeeffekt des deutschen Namens, folgerichtig wird künftig Osoblaha/Hotzenplotz am Bahnhofsgebäude zu lesen sein. Zu einer Tourismusregion gehören jedoch auch Unterkünfte und Gastronomie mit einem verlässlichen Angebot. In diesem Punkt hat sich die Situation gegenüber dem Bericht von 2014 verschlechtert, da etliche Wirtschaften aus gesetzlichen Gründen schlossen und auch keine neuen Unterkünfte entstanden, im Gegenteil: Trotz steigender Besucherzahlen schlossen sogar einige Beherbergungsbetriebe oder schränkten ihren Betrieb ein.
Moderner Triebwagen gesucht
Zu den Zukunftsfragen gehört aber auch jene nach einem Konzept für den Regelverkehr. Bei der Schmalspurbahn handelt es sich um die defizitärste Strecke der ČD, nichtsdestotrotz stehe eine Einstellung nicht zur Debatte. Das Bestreben des Bezirkes ist es, zeitgemäße Fahrzeuge einzusetzen. Die SZD sind derzeit auf der Suche nach einem geeigneten Triebwagen (etwa ÖBB-Reihe 5090), um nach einer Modernisierung mit diesem Fahrzeug den Regelbetrieb übernehmen zu können. Die aktuell von den ČD eingesetzten Wagen werden von den Fahrgästen zwar akzeptiert, allerdings ist die einzige noch einsatzfähige Diesellokomotive der ČD bereits 60 Jahre alt – und die Personenwagen der Gattung Balm/ú stehen ebenfalls seit mehr als einem halben Jahrhundert im Einsatz. Jeder Ausfall des Triebfahrzeuges und der damit verbundene Schienenersatzverkehr führen unweigerlich dazu, dass die Inanspruchnahme der Schmalspurbahn sinkt und die Fahrgäste auf den Busverkehr ausweichen, der das Hotzenplotzer Ländchen bedarfsgerecht erschließt.
11.10.2018