Fahrzeuge im Porträt
Gleiskraftrad Typ 1
I. Einführung
Die Entwicklung der Verbrennungskraftmaschine Ende des 19. Jahrhunderts stellte nicht nur für den Antrieb großer Lokomotiven einen Weg zur Ablösung der Dampflokomotive dar, auch für kleinere Eisenbahnfahrzeuge bot sich damit eine Möglichkeit, die Muskelkraft durch Motorkraft abzulösen. Erste motorgetriebene Bahnmeisterdraisinen entstanden ab 1905, meist mit Leistungen von 5 bis 6 PS. Allmählich verbreiteten sie sich im Bereich der Gleisunterhaltung, wo sie den zuständigen Leitern häufig zur Bereisung von Strecken dienten. Ende der fünfziger Jahre bestand bei der Deutschen Reichsbahn erneut Bedarf nach einem leichten Inspektionsfahrzeug für Oberbaukontrolleure, Bahnmeistereien und als Baustellenfahrzeug. Die Entwicklung und Konstruktion des als „Gleiskraftrad Typ I“ bezeichneten Fahrzeuges wurde von der Außenstelle Berlin-Adlershof des VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ Babelsberg ausgeführt.
II. Technische Beschreibung
Um 1960 fertigte das Forschungs- und Entwicklungswerk des Verkehrswesens (FEV) in Blankenburg (Harz) eine erste Serie von 50 Stück. Für die damalige Zeit war die Konstruktion ein erheblicher Fortschritt, zu dem sich Automobilbauer erst 40 Jahre später entschließen konnten. Denkbar einfach gestaltete sich die Konstruktion des Fahrwerkes. Es besteht aus einem leichten Grundrahmen, an dem die Hinterachse als Starrachse mit Blattfederung ausgeführt ist. Die Vorderachse ist in Einzelradaufhängung durch Doppelpendel ausgebildet und ebenfalls über eine Blattfeder abgefedert. Damit besitzt die „Vorderachse“ eigentlich kein festes Spurmaß! Die Konstruktion hatten sich die Entwickler bei Pkw-Konstrukteuren abgesehen, von denen sie auch weitere Anleihen übernehmen mußten. Mangels eigener Bahnmotoren mußte auf einen luftgekühlten 18 PS-Zweitakt-Motor aus dem VEB Motorenwerk Karl-Marx-Stadt zurückgegriffen werden, der zu jener Zeit in Trabant-Fahrzeuge des Types P50 eingebaut wurde. Der Zweizylindermotor mit 500 cm³ treibt dabei ein ebenfalls vom Trabant stammendes unsynchronisiertes (!) Viergang-Getriebe. Für die Rückwärtsfahrt ist analog zum Pkw nur ein Rückwärtsgang vorhanden. Die 18 PS erlauben es, das Fahrzeug auf 60 km/h zu beschleunigen, im Rückwärtsgang waren noch 16 km/h möglich. Für längere Rückwärtsfahrten mußte das Fahrzeug deshalb an einer geeigneten Stelle gedreht werden. Absolutes Neuland war für die damalige Zeit der Karosserieaufbau. Im Gegensatz zum „Plastebomber“ besteht die Karosserie nicht aus Kunststoff – sondern aus Aluminium! Eine Technologie, die erst 40 Jahre später in der Kfz-Industrie Einzug halten sollte. Aus dem Pkw-Bau übernommen wurden jedoch weitere Bauteile, wie eine als Innenbackenbremse ausgeführte Fußbremse und eine mechanisch wirkende Handbremse. Ein Kraftstoffbehälter von 12 Litern sichert dem kleinen Fahrzeug eine Reichweite von etwa 130 Kilometern. Mit voller Tankfüllung brachte das als Kleinwagen eingestufte Fahrzeug immerhin 635 kg auf die Waage. Als Besonderheiten ist noch ein zurückklappbares Fahrzeugverdeck zu erwähnen, mit dem die Schienen-Trabi zum Cabrio umfunktioniert werden konnten. Auf der Sitzbank fanden neben dem Fahrer zwei weitere Personen Platz, die Sitze waren herausnehmbar, um in den darunter befindlichen Kästen Werkzeug mitführen zu können. Die erste Ausführung erhielt an den Einstiegen für den Winterbetrieb nur Segeltuchvorhänge. Eine zweite Bauserie der Schienen-Trabis entstand Anfang der sechziger Jahre im Weichenwerk Brandenburg (Havel). Die Fertigung der Aluminium-Karosserie übernahm dabei die in Potsdam ansässige Firma Kesslau. Die Fahrzeuge erhielten dabei einige Verbesserungen, so wurde unter dem Fahrzeug zunächst ein mechanischer Spindelheber installiert, mit dem es möglich war, das GKR auf der Stelle zu wenden. Damit vereinfachte sich auch das Aussetzen an Bahnübergängen, für das vorher drei Personen benötigt wurden. Später wurde diese Konstruktion durch eine hydraulische Hebevorrichtung ersetzt, die sich leichter betätigen ließ. Ferner erhielten die GKR geschlossene Seitentüren.
III. Betrieb
Die Gleiskrafträder waren den Bahnmeistereien zugeteilt. Dort besaß jeder Streckenmeister seine feste Strecke, auf der er für Ordnung und einen sicheren Oberbau zu sorgen hatte. Hierzu mußte die Strecke zweimal im Monat zu Fuß kontrolliert werden. Für die zweite Kontrolle wurde dabei häufig das Gleiskraftrad benutzt, erleichterte es doch die Arbeit auf den bis zu 40 Kilometer langen Streckenabschnitten erheblich. Der Betrieb des Gleiskraftrades unterlag den Bestimmungen der Fahrdienstvorschrift der Deutschen Reichsbahn und war in den § 100 und 103 geregelt. Die zulässige Geschwindigkeit war dabei auf 50 km/h begrenzt, im Gefälle zwischen 10 und 40 Promille auf 30 km/h, bei Gefällen über 40 Promille auf 15 km/h. Maßgebend dafür war die geringe Bremsleistung des leichten Fahrzeuges. Zwar unterlag der Einsatz der leichten Draisinen der Fahrdienstvorschrift, jedoch wurde nicht im Raumabstand, sondern gemäß Fahrauftrag auf Sicht gefahren. Hierzu war es zulässig, Zügen nachzufahren. Aufgrund seines geringen Gewichtes war das Gleiskraftrad auch nicht in der Lage, Gleisschaltmittel auszulösen. Der Fahrer, meist der Streckenmeister selbst, erhielt einen Fahrauftrag, in dem der Fahrtablauf und auch ein eventuell geplantes Aussetzen des Fahrzeuges festgelegt war. Der Betrieb erfolgte dabei nicht nach Signalen, sondern es wurde auf Sicht gefahren. Zum Aussetzen des Fahrzeuges aus dem Gleis wurde es auf einen Bahnübergang gefahren, angehoben und um 90° gedreht. Anschließend konnte die Draisine vom Gleis gefahren werden. Mit seinem Streckentelefon meldete der Fahrer, daß die Strecke geräumt und damit Zugverkehr wieder möglich war. Hatte der Zug die Draisine passiert, konnte sie wieder ins Gleis eingesetzt und gemäß Fahrauftrag die Fahrt fortgesetzt werden. Vor der Einfahrt in Bahnhöfe hatte sich der Draisinenfahrer beim zuständigen Fahrdienstleiter zu melden, da ja im durch Signale gesicherten Bahnhof Rangierfahrten unterwegs sein konnten. Mit dem Fortschreiten moderner Sicherungstechnik erfolgte die Überwachung des Zugbetriebes zunehmend durch Gleisschaltmittel. Damit war es nur noch zulässig, daß sich eine Zugfahrt im jeweiligen Zugfolgeabschnitt/Blockabschnitt befindet. Seit Anfang der neunziger Jahre ist deshalb das Nachfahren von Kleinwagen nicht mehr zulässig, sie müssen wie Zugfahrten behandelt werden. Erschwerend kam nun hinzu, daß die leichten Gleiskrafträder die Gleisschaltmittel nicht auslösen und somit von der Sicherungstechnik nicht zu erfassen waren.
IV. Verbleib
Umstrukturierungen in der Oberbauunterhaltung führten schließlich dazu, daß die Gleiskrafträder Anfang der neunziger Jahre endgültig überflüssig wurden. Die Streckenkontrolle wird nun, in erheblich größeren Abständen, durch Oberbaumesszüge vorgenommen. Die Schienen-Trabis gerieten in Vergessenheit. Im Oktober 2002 gelang es dem Verein Sächsischer Eisenbahnfreunde e.V., alle sieben noch erhaltenen Schienen-Trabis in Schwarzenberg der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein Original-Trabant P50 der Westsächsischen Hochschule Zwickau mit identischer Maschinenanlage ließ dabei interessante Vergleiche zu.
Ein Teil der Fahrzeuge hat dabei allerdings Modernisierungen über sich ergehen lassen müssen. So sind einzelne Fahrzeuge auf einen 23-PS-Motor umgebaut worden, teilweise wurden Tank oder Batterie verändert. Drei der interessanten Fahrzeuge zählen inzwischen zum Bestand des Eisenbahnmuseums in Schwarzenberg. Trotz dieser Modernisierungen erinnern sie auch in Zukunft an einen interessanten Abschnitt in der Geschichte der Oberbauunterhaltung.
27.01.2006