Editorial
Liebe Preß’-Kurier-Leser,
als Ingenieur, der im Laufe seines bisherigen Berufslebens häufig zwischen den sehr unterschiedlichen Branchen Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie „pendelte“, gehört das begierige Aufnehmen von technischen Neuerungen quasi zum Berufsethos – genauso wie der sprichwörtliche Blick über den „Tellerrand“. „Dieselgate“ ist in aller Munde und nicht nur VW steht unter dem Verdacht, nicht ganz koscher mit gesellschaftlichen Normen und technischen Standards umgegangen zu sein. Doch wird dies die Menschen davon abhalten, weiterhin ein Auto zu kaufen oder wird sich gar dadurch unser Mobilitätsverhalten verändern? Wohl kaum.
Eine ganz andere Innovation schickt sich an, unser Bewegungsschema über den Haufen zu werfen und davon dürften nicht nur die Autohersteller betroffen sein. Google ist der wohl bekannteste, Tesla wohl der exklusivste und schnellste, aber beide sind devinitiv nicht die Einzigen, die am fahrerlosen autonomen Individualverkehrsmittel arbeiten. Haben Sie sich schon mal gefragt, ob Sie Ihr persönliches Auto unter der Laterne noch brauchen, wenn Sie jederzeit ein „Poolfahrzeug“ heranrufen könnten und dieses Sie auch noch, ohne selbst fahren zu müssen, zu jedem gewünschten Ziel in der Reichweite des Energiespeichers bringen kann? Die Rechentechnik dazu gibt es heute schon. Halten Sie sich mal vor Augen, dass Ihr Smartphone mehr Rechenpower aufbringt als die bisher letzte Mondlandefähre.
Carsharing als Alternativangebot leidet doch heute daran, dass im Bedarfsfalle am falschen Ort die falsche Anzahl von Fahrzeugen bereitsteht und man zum Schluss trotzdem selber fahren muss. Die Auswirkungen sind heute kaum absehbar, aber wenn viele Menschen erkennen, dass das sinnlose Parken des Autos am Straßenrand keinen Mehrwert gegenüber der Freiheit, gefahren werden zu können, bietet – dann wird dies ziemlich schnell einen abrupten Einbruch des Pkw-Absatzes mit sich bringen. Keine rosigen Aussichten, wenn man die Abhängigkeit von der Automobilindustrie in Betracht zieht.
Und wie steht es dann mit der Eisenbahn? Auch da stellt sich die Frage nach der Existenzberechtigung, denn das bisherige Alleinstellungsmerkmal (den Fernreisebus einmal ausgeklammert) war doch, dass man sich um das Fahren selber nicht kümmern musste. Aber hier wäre ja ein Ansatz, die Bahn im gleichen Sinne zu automatisieren und den ursprünglichen Transportschwerpunkt im Güterverkehr zu priorisieren. Denn wer schon gern „autonom“ über die Autobahnen brettern möchte, der möchte mit Sicherheit auch das Risiko, von autonom operierenden Großcontainern überrollt zu werden, minimiert wissen.
Wenn Sie sich jetzt fragen, was diese Einleitung im „Preß’-Kurier“ zu suchen hat, stelle ich die Frage einmal andersherum: Haben Sie den Eindruck, dass sich mit diesem Szenario und den Strategien, wie man damit umgehen kann, schon beschäftigt wird? Damit überlasse ich Sie jetzt erst einmal Ihren Gedanken.
Was das ganze Szenario mit den Museumsbahnen gemein hat? Natürlich nicht viel, außer der Gewissheit, auch in Zukunft hier die Besonderheit des Reisens erleben zu können. Diese Bahnen bieten auch weiterhin das Gefühl, dass es abseits von „Mobilität 4.0“ einen ruhenden Anker gibt. Schauen Sie wieder einmal bei der nächstgelegenen Museumsbahn vorbei, da brauchen Sie auch nicht erst auf das erstbeste autonome Fahrzeug zu warten und Sie genießen das Reisen.
Glück Auf
Jörg Müller
14.10.2016