Schmalspurbahnen in Europa
Eine Reise zu den Meterspurstrecken im Südosten der „Grande Nation“
Denkt man an Eisenbahnen in Frankreich, kommen einem vor allem schnelle Züge wie der TGV in den Sinn. Doch die große Nation im Westen Europas hat auch eine beachtliche Schmalspurgeschichte vorzuweisen. Etwa ein Drittel des knapp 40 000 km umfassenden Eisenbahnnetzes war 1914 schmalspurig – größtenteils in Meterspur – ausgeführt. Der Niedergang und folgende Abbau dieser Bahnen begann jedoch schon in den 1930er Jahren. Einige Strecken hielten sich bis in die späten 1960er Jahre und überlebten als Museumsbahnen, andere verkehren heute täglich mit modernen Triebwagen. Das alles waren für mich gute Gründe, im Frühjahr 2017 den Südosten Frankreichs zu bereisen und die eigene Schmalspurwelt ein wenig zu erweitern. Dabei besuchte ich im Rahmen einer von „Migu“ Schneeberger organisierten Reise drei Meterspurstrecken.
1. Train de l’Ardèche (Tournon – Lamastre)
Die 1891 eröffnete Strecke von Tournon an der Rhone führt durch die Schlucht des Flusses Doux hinauf ins 250 m höher gelegene und 29 km entfernte Lamastre. Bis zur Einstellung 1968 ging die Strecke bis nach Le Cheylard weiter, wo sie auf die ebenfalls meterspurige Eisenbahn La Voulte-sur-Rhône – Dunières traf (deren erhaltenes Teilstück ebenfalls auf dem Programm stand). Die seit 1970 bestehende Museumsbahn begann bis 2008 in Tournon mit einem Dreischienengleis, seit ihrer Reaktivierung im Jahr 2013 hat die Strecke aber im neu errichteten Bahnhof Tournon–St.-Jean-de-Muzols ihren Ausgangspunkt. Von Mitte April bis Ende Oktober gibt es fast täglich touristischen Dampfzugbetrieb mit den beiden sechsachsigen Mallet-Lokomotiven Nr. 403 (Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur 1903) und Nr. 414 (Elsässische Maschinenbau-Gesellschaft Grafenstaden 1932). Darüber hinaus kann man einen Großteil der Strecke mit der Fahrraddraisine befahren. Deshalb stehen entlang der Gleise an vielen Stellen Sicherungszäune, wodurch die Strecke für Fotografen etwas an Attraktivität verloren hat. Gleichwohl ist es eine eindrucksvolle Fahrt, denn Tunnel und Viadukte wechseln sich ab mit steil abfallenden Passagen durch die Schlucht des Doux.
2. Velay Express (Raucoules-Brossette – St. Agrève)
Sichtlich beschaulicher geht es auf der 27 km langen Meterspurstrecke von Raucoules-Brossette nach Saint-Agrève zu. Dieser ebenfalls seit 1970 als Museumsbahn betriebene Teil des ehemals über 200 km langen Netzes der „CFD Réseau du Vivarais“ führt über das Velay-Plateau entlang an Wiesen und Feldern, durchquert Wälder und kleine pittoreske Orte, hat aber auch eine beachtliche Steigungsstrecke auf mehr als 1000 m über dem Meeresspiegel aufzuweisen. Weniger spektakulär, dafür überaus abwechslungsreich sind sowohl Strecke und Fahrzeugpark. Dazu gehört der Billard-Schienenbus Nr. 313, ein 100 PS starker Triebwagen vom Typ A 80 D aus dem Jahre 1937 ebenso wie die vierachsige Mallet-Lok Nr. 101 der ehemaligen PO Corrèze, die 1906 von Blanc-Misseron (Ateliers de construction du Nord de la France) gebaut wurde. Die Museumsbahn fährt von Mai bis Oktober jeden Sonntag auf der Gesamtstrecke, im Juli und August zusätzlich mittwochs und donnerstags zwischen Raucoules und Le Chambon-sur-Lignon.
3. Chemins de fer de Provence (Nice – Digne)
Gänzlich anders ist die Situation im 300 km entfernten Marktflecken Annot in der Provence. Die bedeutende Zwischenstation an der von 1891 bis 1911 erbauten Strecke von Nizza nach Digne-les-Bains ist gleichzeitig Endpunkt der Dampfzüge des Vereins „Groupe d’Etude pour les Chemins de fer de Provence“, der als „Pinienzapfenzug“ von Mai bis Oktober jeden Sonntag ab Puget-Théniers verkehrt. Star dieses Zuges ist eine Mallet-Dampflok, die 1923 von Henschel & Sohn in Kassel gebaut wurde. Die Lok der Bauart 1’B’Cn4vt war bis 1981 in Portugal auf der Linha do Corgo, zuvor auf der Linha do Vouga und der Ramal de Viseu im Norden des Landes im Einsatz. Seit 1988 ist sie in Puget-Théniers beheimatet und zieht den Museumszug, der u. a. aus Waggons gebildet wird, die aus der Schweiz von der Rhätischen Bahn stammen. Damit handelt es sich um einen wahrlich europäischen Zug, der durch die imposante Landschaft der Täler der Flüsse Vaïre, Coulomp und Var über zahlreiche Viadukte und durch Tunnel fährt. Die ab 2010 für den täglichen Einsatz beschafften Triebwagen vom Typ AMP 800 benötigen für die 150 km lange Gesamtstrecke von Nizza nach Digne etwa drei Stunden und 20 Minuten. Vier Zugpaare befahren sie täglich, zwischen Nizza und Colomars (13 km) gibt es 20 Zugpaare. (Dieses Bild ist in der Druckausgabe als Rücktitel veröffentlicht)
05.08.2017