Bücher-Markt
Rezensiert: Die Geschichte der Obereichsfelder Kleinbahn
Günter Fromm/Harald Rockstuhl
Die Geschichte der Obereichsfelder Kleinbahn
1913-1947 Silberhausen–Beberstedt–Hüpstedt
176 Seiten DIN A5 mit 78 Schwarzweiß- und 49 Farbfotos, 39 Zeichnungen und acht Karten 3. und erweiterte Auflage, Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2017 ISBN: 978-3-86777-097-2 Preis: 26,– Euro
Das Eichsfeld liegt heute mehrheitlich im Nordwesten von Thüringen. Nach dem Wiener Kongress von 1815 gehörten die Kreise Heiligenstadt und Worbis zur preußischen Provinz Sachsen, womit auch in diesem Gebiet das 1892 verabschiedete preußische Kleinbahngesetz zum Bau von Eisenbahnen des nichtallgemeinen Verkehrs zur Anwendung kam. Dies war für die Betreiber der ab 1905 in den oben genannten Kreisen gegründeten Kalischächte im Raum Beberstedt/Hüpstedt die Chance, das geförderte Salz preiswert zu einem Bahnhof des allgemeinen Verkehrs zu bringen, von dem ein uneingeschränkter Weiterversand möglich war. Vorliegendes Buch beschreibt die Vorgeschichte, den Bau, den Betrieb und das, was heute noch von der 1913 eröffneten und 1947 eingestellten regelspurigen Kleinbahn Silberhausen – Hüpstedt zu sehen ist. Da auf der nur 10,1 km langen Strecke auch einer der wenigen von Lindner in Ammendorf bei Halle (Saale) für 1435 mm Spurweite gebauten „Alles-Wagen“ – ein vierachsiger Reisezugwagen 2. und 3. Klasse mit Gepäck- und Postabteil – zum Einsatz kam, war die Linie für den Rezensenten interessant, aber zugleich bisher unbekannt. Die 1. und die 2. Auflage zu dieser Strecke liegen ihm nicht vor. Deshalb freute er sich, eine 3. und erweiterte Auflage zu erhalten – ganz in der Annahme, damit eine runde, in sich schlüssige und alle Fragen beantwortende Publikation zu bekommen. Diese hohen Erwartungen erfüllten sich beim Lesen nicht völlig. Trotz großer Freude über spannende und mit viel, viel Liebe recherchierte Ausführungen stieß er häufig auf unzufriedenstellende Passagen. Wie kann das sein? Grundlage für das Buch stellt ein hervorragender Aufsatz des längst verstorbenen Günter Fromm dar. Verlagsgründer und Mitautor Harald Rockstuhl brachte diesen nach eigenen Angaben unverändert erneut zum Abdruck, ergänzte aber mehrere neue Kapitel. Diese sind einzeln betrachtet fast immer ausgesprochen gut und aufwendig recherchiert – Harald Rockstuhl gebührt dafür unbedingt Anerkennung. Wie er die Ergebnisse seiner Suche nach den Spuren der Eisenbahn in das Buch eingebaut hat, besitzt großen Vorbildcharakter. Doch bei der Lektüre der aneinandergereihten Kapitel ergibt sich für den Rezensenten kein rundes Bild. Dazu als Beispiel: Auf Seite 94 findet der Leser anstatt eines angekündigten Originalzitates zum Unfall im Jahr 1920 ein Textfragment, was offensichtlich aus dem Jahr 1947 stammt. Außerdem ist es für den Rezensenten nicht nachvollziehbar, warum die Ergänzungen zu den Fahrzeugen von Seite 172 nicht gleich hinter das Fahrzeugkapitel auf Seite 145 oder Seite 147 gesetzt sind. Die Rechtschreib-, Trenn- und vielen Typographiefehler vor allem gleich im Vorwort des Buches lassen vermuten, dass kein Verlagsmitarbeiter die Arbeit vom „Chef“ kontrolliert hat. Dafür hat der „Chef“ eine überraschende Vielzahl an Aufnahmen und anderen Illustrationen in die 3. Auflage genommen, die ansprechend platziert sind. Es überrascht, wie viele Aufnahmen mit Fahrzeugen von dieser schon 1947 eingestellten Kleinbahn existieren. Ein großes Lob gebührt dem Verlag auch für die vielen Gleispläne und Kartenausschnitte, die das Beschriebene sehr gut verdeutlichen. Die eingebauten Rechercheergebnisse zu Zwangsunterkünften für Juden, zur V2-Abschussrampe im Höllenholz und zum Kalibergbau in der Region sind ebenfalls eine tolle Ergänzung für das Buch. Es ist damit nicht nur für Eisenbahn-, sondern auch für Heimatfreunde und Militärhistoriker attraktiv. Bei der auf den Seiten 32 unten und 29 rechts abgebildeten Feldbahndampflok Hanne handelt es sich übrigens um keine von Orenstein & Koppel gebaute Maschine, sondern aufgrund der Formen der Schieberdeckel und Führerhausfenster sowie des Fabrikschildes eindeutig um eine Krauss-Lok. Mit der Fabriknummer 3553 stellte deren Münchner Werk auch gemäß Krauss-Lieferverzeichnis eine 600-mm-Bn2t-Feldbahnlok mit dem Namen „Hanne“ her – geliefert im Jahr 1897 an das Eisenbahnbauunternehmen R. Trautmann & Weißflog aus Arnstadt. Diese Firma war ab Sommer 1897 in Südthüringen mit dem Bau der Ende 1898 eröffneten regelspurigen Kleinbahnstrecke Kleinschmalkalden – Brotterode beauftragt.
Fazit: Das Buch stellt nicht restlos zufrieden, bietet aber dennoch spannende und interessante Lektüre. Es ist aufwendig und liebevoll illustriert, was den Preis für ein solches Nischenprodukt durchaus rechtfertigt. Durch seine Verweise auf andere Strecken in Thüringen und der Provinz Sachsen, aber auch durch die Ausführungen zum Bergbau und zum Thema V2-Abschussrampen ist es nicht nur für Freunde der Eisenbahnen im Eichsfeld empfehlenswert.
05.08.2017