Schmalspur- und Museumsbahn-Nachrichten
Die neue Dampflokwerkstatt Wernigerode Westerntor
Seit dem 2. September 2019 lässt die Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) im Bahnhof Wernigerode Westerntor eine neue Dampflokwerkstatt errichten. In dieser sollen zukünftig die Untersuchungen nach § 32 (sogenannte „Hauptuntersuchungen“) und § 33 (Kesseluntersuchungen) der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung für Schmalspurbahnen (ESBO) an den Dampfloks der HSB durchgeführt werden. Hintergrund sind die nicht immer ausreichenden Kapazitäten und die preisintensiven Leistungen beim Dampflokwerk Meiningen (DLW) der DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH. Allerdings wird die HSB bei den Untersuchungen mit externen Partnern – zu denen auch weiterhin das DLW gehören wird – eng zusammenarbeiten. Letztlich geht es nicht darum, jede Kompetenz selbst vorzuhalten, viele Dinge können wesentlich günstiger bei Kooperationspartnern bearbeitet werden. Ein Beispiel hierfür ist der Neubau von Kohle- oder Wasserkästen, der bereits seit Jahren bei einem Partnerunternehmen in der Region erfolgt.
Die neue Werkstatt in Wernigerode soll noch bis Ende des Jahres fertiggestellt sein, so dass dort ab 2022 die Untersuchungen durchgeführt werden können. In der bisherigen Werkstatt aus dem Jahr 1926 werden auch in Zukunft laufende Instandhaltungsarbeiten ausgeführt. Für die in der neuen Werkstatt vorgesehenen Untersuchungen fehlt am alten Standort der Platz, so dass ein Neubau erforderlich war. Für die neue Werkstatt hat die HSB ein rund 25 000 m² großes Grundstück von der Stadt Wernigerode erworben.
Bessere Arbeitsbedingungen
Die neue Werkstatt entsteht gegenüber der bisherigen Werkstatt auf der anderen Seite der Bahnsteige. Sie wird über das ehemalige Ladestraßengleis 4 an das Bahnsteiggleis 2 des Bf Wernigerode Westerntor angebunden. Dadurch ist kein erneuter Eingriff in das elektronische Stellwerk erforderlich. Da die neue Werkstatt aufgrund der Untersuchungsdauer eher selten auf der Schiene erreicht werden muss, ist diese Anbindung über eine Gleissperre und eine Handweiche hinreichend und eine Fernbedienung nicht notwendig. Zusätzlich gibt es eine straßenseitige Anbindung über die Straße Unter den Zindeln, die auch für Lkw und Tieflader nutzbar ist. Die neue Werkstatthalle entsteht auf einer Grundfläche von etwa 35 x 70 m und hat eine Höhe von 13,7 m. Zusätzlich gibt es eine Außenlagerfläche. In der Halle selbst sind vier Gleise verlegt, von denen drei an das Gleisnetz angebunden werden. Zwei Gleise sind für die Demontage und zwei Gleise für die Montage der Fahrzeuge vorgesehen. Damit gibt es vier Arbeitsstände, von denen drei als Hubgleise ausgeführt sind. Das sorgt für optimale Arbeitsbedingungen, da die zu bearbeitende Dampflok in die jeweils notwendige Höhe gefahren werden kann. Insgesamt vier Kräne werden in der neuen Werkstatt für eine gute Erreichbarkeit aller Arbeitsplätze auch mit schweren Teilen sorgen. Ein Portalkran mit 60 t Tragkraft ist in der Lage, eine Dampflok über andere Fahrzeuge zu heben, so dass die einzelnen Arbeitsstände freizügig genutzt werden können. Mit dieser Tragkraft können alle Dampfloks der HSB gehoben werden. Drei weitere kleinere Kräne befinden sich in den Nebenwerkstätten. Hier gibt es eine Elektrowerkstatt, eine mechanische Werkstatt und eine separate Lackier- und Reinigungskabine für Fahrzeugteile als Kombistand mit einer Grundfläche von etwa 70 m². Dazu kommen eine Reihe von Werkzeugmaschinen wie Drehbänke oder Fräsen sowie diverse Vorrichtungen. Mit der neuen Dampflokwerkstatt werden sich die Arbeitsbedingungen für die hier tätigen Eisenbahner deutlich verbessern. Für die bisherige Fahrzeugwerkstatt sind verschiedene Umbauten geplant, um die dortigen Arbeitsbedingungen ebenfalls zu verbessern.
Jährlich zwei bis drei Untersuchungen
Technologisch ist vorgesehen, die neue Werkstatt so zu betreiben, dass die Arbeiten zur Demontage und Montage der Dampfloks strikt getrennt werden. Damit soll vor allem erreicht werden, dass die Montage der Dampfloks in einem „sauberen“ Bereich erfolgt. Die Arbeit an mehreren Dampfloks gleichzeitig ist möglich. Auf Grund der Größe des Fahrzeugparks der HSB sind jährlich zwei bis drei Untersuchungen nach §§ 32 und 33 ESBO durchzuführen. Im ersten Obergeschoss der Werkstatt werden Büro- und Sozialräume eingerichtet. Über einen separaten Zugang gibt es für Besucher die Möglichkeit, eine Galerie im zweiten Obergeschoss zu erreichen, von der aus ein Blick in die Werkstatt möglich ist. Damit werden die Besucher- und Arbeitsbereiche konsequent räumlich getrennt. Jeweils am Ende der Besuchergalerie ist eine Aussicht in Richtung der bisherigen Werkstatt und zum Brocken sowie in Richtung Stadt und zum Schloss möglich.
Für den Betrieb der neuen Werkstatt wird zusätzliches Personal benötigt. Dampflokschlosser ist aber heute kein Facharbeiterberuf mehr und auch auf dem Arbeitsmarkt sind solche nicht ohne weiteres verfügbar. Insoweit hat die HSB bereits im Jahr 2016 damit begonnen, den Personalbestand der Abteilung Fahrzeugtechnik aufzustocken. Waren es davor noch 45 Mitarbeiter und zu Baubeginn der Werkstatt im September 2019 bereits 54 Frauen und Männer, so sind es heute 57. Dadurch können sich die neu eingestellten Fahrzeugschlosser intensiv mit den Lokomotiven und Wagen der HSB vertraut machen. Parallel dazu wird die bereits 1997 mit den ersten zwei Auszubildenden zum Industriemechaniker begonnene Lehrausbildung mit jährlich drei bis vier neuen Auszubildenden fortgesetzt. Dazu besteht als weitere Herausforderung für die HSB – und hier nicht nur für die Abteilung Fahrzeugtechnik – die Bewältigung des laufenden Generationswechsels. Dabei gilt es, den Transfer des Wissens, der Fähigkeiten und Fertigkeiten der älteren auf die jüngere Generation zu organisieren.
09.06.2021