Eisenbahn-Geschichte
100 Jahre Gaststätte Lamprecht
Als Eisenbahnfan kennt man eine Kleinbahn namens „Pollo“. Diese war und ist nun wieder eine Schmalspurbahn mit 750 mm Spurweite, wie sie nun (seit) viele(n) Jahre durch die Prignitz schleicht. Die Prignitz ist ein idyllischer weitläufiger Landstrich im Nordwesten Brandenburgs mit den bekannten Städten Pritzwalk, Perleberg, Kyritz und Wittenberge. In der Mitte der Prignitz gibt es einen Ort namens Lindenberg. Hier war früher der Dreh- und Angelpunkt der Prignitzer Kreisbahn – ein ländlicher Verkehrsknoten. Lindenberg hat heute knapp 300 Einwohner und gehört zur Gemeinde Groß Pankow. Dieses urtypisch brandenburgische Dorf mit Klinkerhäusern, einer langen Hauptstraße, einer Sparkasse und einem kleinen Laden, den alle immer noch „Konsum“ nennen, hat zwei Gaststätten. Eine davon ist die Gaststätte „Lamprecht“ auf der Hauptstraße 28 – ein Familienbetrieb. Der Inhaber Bernd Lamprecht (Jahrgang 1956) hat im Jahre 1990 die Gaststätte von seinem Vater Herbert übernommen, der sich aus gesundheitlichen Gründen etwas zurückgezogen hatte. Seine Mutter (Jahrgang 1931) steht heute noch in der Küche und versorgt die Gäste mit Essen, dessen Rezepturen ebenfalls ein stattliches Alter haben.
Schon vor der Tür des gepflegten Hauses aus Klinkersteinen empfängt eine alte Neon-Werbung mit der Aufschrift „Gaststätte Lamprecht“. Jeder soll wissen, wo er rein gehen muß. Durch zwei Türen gelangt man in die Gaststube, die maximal 40 Quadratmeter mißt. Der Tresen am Ende des Raumes ist der Blickfang. Holzbeschlagen mit Ornamenten, eine Arbeitsplatte aus Edelstahl und ein doppelter Zapfhahn mit der Aufschrift „Preussen-Pils“. Daneben mit Hand geschrieben „0,25 l – 1,25 Euro“. Die Wände sind leicht gelblich angestrichen, typischer Kneipengeruch liegt in der Luft, und hinterm Tresen steht ein Mann, der Sie sofort begrüßt – Bernd Lamprecht. Links an der Wand hängt eine Garderobe. Ein Brett von drei Metern Länge mit einzelnen Haken, an denen Kalender, Zeitungen und manchmal auch Mäntel und Jacken hängen. Darunter ein kleines Ledersofa und ein runder Tisch mit Platz für vier Personen. Die Stühle sind aus altem Holz – genauso wie der Fußboden. Rechts stehen noch einmal drei runde Tische für ebenfalls je vier Personen, dazwischen ein kleiner Billardtisch. Dieser ist ständig mit einer Holzplatte abgedeckt, die damit wiederum den Platz für Besteck, Speisekarten und Zahnstocher stellt. Ein längerer Tisch bietet Platz für acht Personen, wobei auch hier wieder drei Leute das Glück haben, auf einem alten nostalgischen Ledersofa zu sitzen. In einer Ecke hing nach der Wende kurze Zeit ein Spielautomat, später eine kleine Vitrine mit Souvenirs des Pollo-Vereins. Jetzt hängt dort ein Polyphon aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts.
Wenn Sie dort einmal Platz genommen haben, ist sofort eine gemütliche und persönliche Atmosphäre zu spüren. Die Speisekarte ist kurz, die Getränkeliste überschaubar und die Preise niedrig. Viele der Lebensmittel sind aus Lindenberg und Umgebung und haben womöglich ein paar Tage zuvor noch gelebt. Schon nach kurzer Zeit, wenn wenig los ist, werden Sie überrascht: Bernd Lamprecht zitiert Otto Reuter (eine Berliner Legende), singt Lieder aus Berlin und Brandenburg, spricht Gedichte und erzählt Geschichten und Anekdoten aus dem Dorf und dem Land. Nach nur kurzer Zeit kann er auch zur Höchstform auflaufen, dann noch mit Zylinder, Frack und in höherer Geschwindigkeit. Der Prignitzer Dialekt liegt dem Lokalpatrioten genauso wie die Berliner Schnauze oder die gute hochdeutsche Sprache. Nach dem man gut gegessen hat und noch ein Stück Kultur erfahren konnte, ist man sich sicher, daß auch der Nachtisch hausgemacht war. Die Stammkunden aus dem Dorf saßen schon da und sitzen da immer noch. Zwischendurch kommen Kinder und kaufen Süßigkeiten am Tresen oder der Gemüselieferant bringt Frisches. Eine Delikatesse ist der Knieperkohl, eine regionale Spezialität. Von November bis Februar gibt es diesen Knieperkohl frisch und nach traditionellem Rezept zubereitet. Zur Verdauung noch ein Korn, kostet meist nur einen Euro, und Sie werden diese Lokalität verlassen, in der der Gastwirt noch ein Gastwirt ist – nämlich immer und für alle da.
Einfach mal hinfahren, sich überraschen und in der Zeit zurückversetzen lassen. Von der Autobahn 24, Abfahrt Pritzwalk, sind es noch 15 Minuten mit dem Auto in Richtung Südwesten. An Pritzwalk vorbei und auf der B107 weiter. In der Ortschaft Tüchen geht es mal links weg – ist ausgeschildert. Montag ist Ruhetag. Ansonsten ist immer ab früh acht Uhr offen – falls man mal zum Frühschoppen will.
Im Jahre 1912 hatte Rudolf Lamprecht, der Großvater von Bernd Lamprecht, das 1740 gebaute Haus in der Lindenberger Hauptstraße gekauft und die Gaststätte weiter betrieben. Ein genaues Datum ist leider nicht überliefert. Das hielt die Familie Lamprecht jedoch nicht davon ab, dieses Jubiläum ordentlich zu begehen. Auf eine Anzeige in der lokalen Presse und das übliche Dorfgespräch hin kamen am S0nnabend, dem 17. November 2012, gut 400 Gratulanten. Ob Bürgermeister, Ortsvorsteher, Kegelklub, Feuerwehr oder Eisenbahn – alle waren gekommen, um persönlich zu gratulieren. Sie wurden von 9 Uhr morgens an bestens bewirtet und betreut. Eine Kapelle spielte im großen Saal, der ständig für gut 180 Personen eingedeckt war, bis weit in den Nachmittag Volks- und Schlagertitel. Reichhaltiges und leckeres Essen sowie eine ständig aufmerksame Bedienung haben durchweg für eine positive Rückmeldung unter den Gästen gesorgt. Am späteren Abend verfolgten gut 150 Feiernde und Dorfbewohner ein Höhenfeuerwerk direkt vor der Gaststätte. Unzählige Blumen, Geschenke und persönliche Aufmerksamkeiten wurden Bernd Lamprecht und seiner Mutter an diesem Tag überreicht und werden wohl noch eine Weile in Erinnerung bleiben.
Die Gaststätte Lamprecht ist mit den Mitgliedern der IG Preßnitztalbahn e.V. schon viele Jahre freundschaftlich verbunden. Seit dem Beginn der Aktivitäten des Kleinbahnvereins sind „die Sachsen“ dort regelmäßig verpflegt und beherbergt worden. Mehrmals im Jahr kehren sie bei „Lampe“ ein, essen und trinken, erfahren Neues von der Eisenbahn und aus dem Dorf. Mindestens einmal im Jahr nutzen sie die Gastfreundschaft für ein langes Wochenende zur Erkundung der Prignitz und deren Eisenbahngeschichte.
Die IG Preßnitztalbahn e.V. dankt der Familie Bernd Lamprecht recht herzlich für die jahrelange Fürsorge und Bewirtung zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wir wünschen weiterhin alles Gute, vor allem Gesundheit sowie Beständigkeit und Ausdauer für ihr Geschäft. http://www.facebook.com/GaststatteLamprecht http://www.lamprecht.de.ms
09.12.2012