Schmalspurbahn-Geschichte
Preßnitztalbahn: Die gefährliche Loknummer!
Es war einmal …
Ja, ich weiß, so fangen Märchen an, aber eben auch Geschichten aus lange vergangenen und nicht wiederholbaren Zeiten. Im von Andreas W. Petrak verlegten Buch „Damals … Wolkenstein – Jöhstadt. Eine Schmalspurbahn wird abgeschafft“ (edition bohemica, Goldkronach 2017) machte mich die auf Seite 192 oben abgedruckte Aufnahme stutzig, hatte doch jemand Gefallen an dem Bild einer IV K aus dem Jahr 1986 mit der merkwürdigen Nummer 099 590-2 gefunden. Bei dieser Aktion waren am 5. Dezember 1986 nur zwei Fotografen anwesend – zwei Eisenbahner der damals bereits offiziell eingestellten Preßnitztalbahn. Die ganze Geschichte hinter dem auch schon einmal im Preß’-Kurier abgedruckten Bild kannten bisher nur die damals Beteiligten – bis jetzt. Doch genug der Vorrede – lest selbst!
Es begann damit, dass die DR gegen Ende der 1970er Jahre keine Lokschilder mehr mit erhabenen Ziffern anfertigte, sondern die Loknummern einfach aufmalte. Bei Diesel- und E-Loks ist das ja kein Problem. Bei einer Dampflok und noch dazu bei einer IV K sieht das aber „doof“ aus, fand ich als Schlosser der Außenstelle Wolkenstein der Wagenausbesserungsstelle (Was) Annaberg-Buchholz des Bww Karl-Marx-Stadt, als die erste Lok so aus dem Raw zurückkam und aufgemalte Zahlen trug. Ob die Nummern an der Rauchkammer wenigstens aufgemalt oder gar nicht vorhanden waren, weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls fand ich, dass das „Gesicht“ einer IV K ein Lokschild braucht – und sei es nur ein gemaltes. Daher machte ich mich so nebenbei daran, von jeder Wolkensteiner Lok die entsprechenden Zahlen als Schablonen abzunehmen, um nach einer Rückkehr der Maschinen aus dem Raw ohne Schilder gewappnet zu sein.
Aus alten Seitenblechen ausrangierter Wagen schnitt ich Stücke so groß wie Lokschilder und beschriftete sie mit Hilfe der Schablonen entsprechend. Die erste aus dem Raw ohne Nummernschilder nach Wolkenstein zurückgekehrte IV K war wohl die 585, später auch die 582. Nach einer gewissen Zeit fertigte die Zentralwerkstatt Pockau-Lengefeld der DR wieder genügend Lokschilder mit den traditionell von einer Firma in Berlin hergestellten Ziffern. Fortan gab es auch bei regelspurigen Dieselloks wieder richtige Nummernschilder.
1980
Anfang der 1980er Jahre erreichte uns in Wolkenstein die Kunde, dass die 99 590 ausgemustert ist. Es tauchten allerlei Gerüchte von einem Verkauf der Maschine auf. Eine andere zuletzt auf der Preßnitztalbahn eingesetzte Lok, die 99 594, war ja schon 1977 nachweislich ins Ausland gelangt. Warum also nicht auch die 590, sie hätte Geld gebracht und wäre erhalten geblieben. Im Erzgebirge wussten wir damals nicht, was mit der Lokomotive wirklich passiert ist. Also dachte ich, wenn die 99 590 in den Westen gekommen ist, dann doch wohl nur zum Öchsle, der ebenfalls mit 750 mm Spurweite verkehrenden DB-Schmalspurbahn in Baden-Württemberg. Ein leeres Blechschild war noch vorhanden und die Zahlenschablonen auch. Daraufhin begann ich aus Spaß, eine Beschilderung im Stil der Deutschen Bundesbahn anzufertigen. Dafür wollte ich natürlich auch ein DB-Emblem haben und da ich dieses nicht freihändig malen mochte, klebte ich mir zwei Bögen Butterbrotpapier zusammen und ging damit zur Rollwagengrube in Wolkenstein, denn dort standen ja jede Menge DB-Wagen. Nachdem ich ein gut leserlich beschriftetes Fahrzeug gefunden hatte, kupferte ich das Logo auf dem Frühstückspapier ab.
Bei der Loknummer war es nicht so einfach, ich brauchte ja die richtige EDV-Kontrollziffer. Immerhin wusste ich aber, dass diese Ziffer in anderer Reihenfolge als bei Wagen errechnet wird. Sollte das bei den DB-Loks auch so sein? Eine Probe mit einer existierenden Maschine brachte Klarheit. Daraufhin war die Beschilderung rasch fertig, aber noch lange kein Foto gemacht! Ein Anschrauben fiel aus, das hätte viel zu lange gedauert und hätten zehn Mann sehen können, wovon vermutlich fünf von „Horch und Guck“ (für Spätgeborene: Das war der Spitzname für die Staatssicherheit) gewesen wären. Das ging also nicht! Findig, wie wir gelernten DDR-Bürger sind, bog ich mir kleine Drahthaken für alle Schilder. Damit war es möglich, die Schilder in Sekundenschnelle an eine Lok zu hängen, während einer meiner eingeweihten Kollegen sich als Sicherungsposten aufgestellt hatte. Das klappte – schnell machte ich ein, zwei Bilder. Danach nahmen wir die Schilder wieder ab und ich verstaute sie gut geschützt vor den Blicken unserer Vorgesetzten. Dumm war nur, dass ich diese Anfang der 1980er angefertigten Bilder aus bekannten Gründen niemandem groß zeigen konnte!
Die Aktion im Dezember 1986
Mehrere Jahre lagen die „Bundesbahnschilder“ versteckt in Wolkenstein. In dieser Zeit endete 1984 der Verkehr bis Jöhstadt und im November 1986 auch bis Niederschmiedeberg. Die Tage der Preßnitztalbahn schienen gezählt. Und doch kam wenigstens das Lokschild „099 590-2“ ein zweites Mal zum Einsatz. Am 3. Dezember 1986 war der wirklich letzte Zug zwischen Niederschmiedeberg und Wolkenstein gefahren, an diesem Tag hatte die 99 561 den bis dahin in Niederschmiedeberg auf Gleis 3 abgestellten Einheitsgepäckwagen 974-365 abgeholt, der später in der WA Perleberg des Raw Wittenberge in das Modernisierungsprogramm einbezogen worden ist. Am 5. Dezember waren zwei auf Rollfahrzeugen verladene Regelspur-Niederbordwagen mit Kuppelstangen aus dem Bereich der Rollwagengrube abzuholen. Auf diese Wagen sollte im Bereich vom Personenbahnhof Schrott geladen werden. Dazu stand 99 561 unter Dampf. Das bot die letzte Chance, um wenigstens das von mir wiederentdeckte „Bundesbahn-Schild“ 099 590-2 nochmals in Wolkenstein an eine IV K zu hängen. Dazu übernahm ich als Wagenschlosser selbst die Rangierleitung, da aus bekannten Gründen kein Rangierer dabei sein sollte. Das Lokpersonal genoss mein Vertrauen, die würden mich nicht verpfeifen – und mit dem damals bei uns in Wolkenstein als Heizer arbeitenden Steffen Buhler war ein zweiter Kollege mit seiner Kamera dabei. Die Dienste als Lokführer und Heizer oblagen bei dieser Fahrt Rainer Grabner und Steffen Buhler. Zur Genehmigung der Fahrt durch den Fahrdienstleiter gab ich an, dass wir bis zum Rangierhaltsignal fahren wollten, um mit den beiden letzten auf Rollwagen stehenden Regelspurwagen eine letzte „Streckenfahrt“ auf der Wolkensteiner Schiene zu fotografieren. Der Kollege willigte ein. Auf Höhe des Kilometers 12,9 der Strecke Annaberg(-Buchholz) – Flöha (etwas vor der dreischienigen Brücke über die Zschopau) hielten wir an. Steffen und ich stiegen dort rasch ab. Per „S-Hakenmethode“ wurde das 099er Schild vor das Nummernschild an die Rauchkammer gehängt. Schnell schossen wir beide einige Fotos – natürlich mit Absicherung. Dann verstauten wir das Schild wieder und ab ging es zum Lokschuppen, wo wir die Wagen für die Schrottverladung bereitstellten.
Epilog
Nach dem Bundesbahn-Schema war die Loknummer 099 590-2 in der damaligen Zeit richtig. Nach der Wiedervereinigung sah das dann bekanntlich ganz anders aus, gemäß dem noch von der Deutschen Reichsbahn zum Jahresanfang 1992 eingeführten 099er-Schema hätte die 99 590 eine Nummer mit 099 7… am Anfang erhalten müssen. Das von mir um 1980 gebaute Lokschild der 582 besitze ich übrigens bis heute, das der 585 ist im Raw Görlitz irgendwann verschollen.
12.08.2020