Schmalspur- und Museumsbahn-Nachrichten
Die Inselbahn Spiekeroog
Neben der Pferde-Straßenbahn in Döbeln gibt es dieses Verkehrsmittel in Deutschland nur noch auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog. Nach knapp zweijähriger Pause verkehrt diese nun seit dem 29. Juli 2021 wieder fahrplanmäßig.
Grund für die Pause war nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch das altersschwache Deichtor, das den Unbilden des Wetters nicht mehr gewachsen war. Das sogenannte Deichschart ist für den Betrieb der Pferdebahn unerlässlich, denn das Dorf Spiekeroog ist von einem sechs Meter hohen, schützenden Damm umgeben und diesen muss die Bahn durchqueren. Nach einem heftigen Orkantief und fünf aufeinanderfolgenden Sturmfluten musste das Deichschart mit großen Sandsäcken abgesichert werden und war deshalb nicht mehr passierbar. Die notwendigen Sanierungsarbeiten erwiesen sich als kostspielig und so konnte die Bahn auch nach Abklingen der ersten Corona-Welle im vergangenen Sommer ihr 135-jähriges Bestehen nicht feiern. Bei der vom Spiekerooger Inselmuseum e. V. initiierten Spendenaktion „Rettet die Pferdebahn“ kamen mehr als 100 000 Euro zur Sanierung des Deichscharts zusammen. Daraufhin wurden die Seitenwangen abgetragen und durch neue in Betonausführung, die einen halben Meter höher als die bisherigen sind, ersetzt.
Älteste Bahn auf einer Nordseeinsel
Die Pferdeeisenbahn auf Spiekeroog startete am 9. Juli 1885 als erste Bahn auf einer Nordseeinsel mit einer 1,7 km langen Schienenverbindung von der Dorfmitte bis zum damaligen Herrenbadestrand im Westen der Insel. Im Gegensatz zu anderen Pferdebahnen gingen und gehen die Pferde auf Spiekeroog seitlich auf festen Grasnarben, da ein Bedecken der Schwellen mit Sand und Kies wegen den Überschwemmungen im niedersächsischen Wattenmeer nicht möglich ist.
Mehrfach wurde die meterspurige Bahn den Bedürfnissen angepasst. Am 18. Juli 1892 ging eine Abzweigung ins Wattenmeer zum 1891 neu erbauten Anleger in Betrieb. Diese nutzte eine bereits vorhandene Materialbahn mit, die dazu um einige 100 m verlängert wurde. Danach konnten Gäste am Anleger direkt vom Schiff in die Bahn umsteigen und so besser in das Dorf fahren bzw. umgekehrt. Am anderen Ende, in der Ortsmitte, führte der ansteigende Verkehr zu Behinderungen und so wurde die Bahn in mehreren Schritten an den jeweiligen Ortsrand verlegt. Am 1. Juni 1949 änderte sich die Betriebsweise. Von nun an verkehrten auf der inzwischen 3,5 km langen 1000-mm-Strecke Dieselzüge bis zu einer neuen Anlegestelle für Schiffe. Daneben betrieb das Wasserschifffahrtsamt eigene Gleisanlagen, die in Teilen 1965 und 1968 mit denen der Inselbahn verbunden wurden.
Mit der Inbetriebnahme eines dorfnahen Hafens mit Beginn der Sommerreisesaison 1981, also vor nunmehr 40 Jahren, verlor die Bahn ihren Daseinszweck. Am 29. und 30. Mai 1981 kamen bei mehreren Abschiedsfahrten letztmals beide damals vorhandenen Personenzuggarnituren zum Einsatz. Der bunt lackierte Fahrzeugpark bestand neben zwei neu erworbenen Dieselloks aus Gebrauchtfahrzeugen von anderen Bahnen. Hans Roll, ein Eisenbahnfreund aus Pforzheim, erfuhr 1980 von der bevorstehenden Einstellung der Spiekerooger Inselbahn. Mit großem Engagement setzte er hier seine Idee einer Museumspferdebahn um. Dazu beschaffte er von dem (nicht mit dem heutigen Verein Stuttgarter Historische Straßenbahnen e. V. zu verwechselnden) Verein Straßenbahnmuseum Stuttgart e. V. den offenen Sommerpferdebahnwagen 21, der 1978 unter Verwendung von Teilen eines Wagens der Stuttgarter Straßenbahnen aus dem Jahre 1886 neu aufgebaut worden war. Dazu kam als „Zugmaschine“ das Pferd Otto. Unmittelbar nach Ankunft des letzten regulären Zuges startete die erste Pferdebahnfahrt auf der 1,1 km langen historischen Strecke zum Westend.
Ein zweiter damals auf die Insel geholter Wagen (ex Straßenbahn Reutlingen) erwies sich als zu schwer und kehrte daher bald auf das Festland zurück. Schon 1981 hatte Hans Roll die Idee für eine Pferdebahn bis zum Zeltplatz im Südwesten Spiekeroogs. Doch dieser Streckenabschnitt der Inselbahn war für den Pferdebahnbetrieb nicht geeignet, da einige Wassergräben für die Pferde abgedeckt hätten werden müssen. Und so wurde die Strecke vom Westend vorbei am Zeltplatz zum Anleger abgebaut. Die Idee einer Weiterführung der Pferdebahn zum Zeltplatz blieb jedoch in den Köpfen bestehen. Und nachdem die Spendenaktion für das Deichschart so erfolgreich verlief, denkt man nun daran, die Strecke zum Zeltplatz wiederaufzubauen. Dazu wurden von der Nachbarinsel Wangerooge schon altbrauchbare Betonschwellen übernommen, die jetzt im Hafen lagern. Noch laufen allerdings die Gespräche. Und man darf gespannt sein, ob es gelingt, die Interessen der Macher des Inselmuseums mit denen des Naturschutzes im Nationalpark in Einklang zu bringen.
Aktueller Betrieb
Die Pferdebahn startet in den Sommermonaten am Bahnhof täglich um 13.00, 14.00, 15.00 und 16.00 Uhr, zurück geht es jeweils nach einer kurzen Pause circa 30 Minuten später – durch Wind und Wetter bedingte Ausnahmen sind vorbehalten. Der Wagen 21 wird von den Pferden Tamme und Eddy gezogen. Fahrkarten gibt es direkt am Bahnhof vor der Abfahrt, die einfache Fahrt für Erwachsene kostet 4 Euro, die Hin- und Rückfahrt 6 Euro, für Kinder (3 bis 11 Jahre) 3 bzw. 4 Euro. Fahrgäste sollten rechtzeitig vor Ort sein, da der Platz in den Wagen 1 bzw. 21 begrenzt ist. Es ist möglich, sich vorab per SMS unter der Nummer 0177/5120519 beim Fahrer Christian Roll mit Angabe der Personenzahl anzumelden. Christian Roll ist der Sohn vom Museumspferdebahnbegründer Hans Roll. Seit dem Sommer 2014 betreibt er im Sommer die Pferdebahn.
16.08.2021