Reisebericht
Mit der Lokalbahn ins Duppauer Gebirge (Teil 2)
Aus dem Triebwagen eröffnen sich nun bis Hradec u Kadane/Burgstadl einige schöne Ausblicke auf die Talsperre N echranice. Der aufgeschüttete Damm ist der längste seiner Art in Mitteleuropa und erstreckt sich über beachtliche 3280 Meter bei einer Höhe von 46 Metern! Ursprünglich in den Jahren 1961-1968 für Landwirtschaft und Industrie angelegt, erfreut sich das künstliche Gewässer nun zunehmend touristischer Beliebtheit. Ab dem Hp Zelina/Seelau windet sich der Schienenstrang tiefer ins Egertal hinab, um den Fluß schließlich vor Kadan predmesti auf einem imposanten Stahlviadukt zu überqueren. Dem Empfangsgebäude des folgenden Bf Kadan mesto (seit Dezember 2006: Kadan) sieht man seine Entstehungszeit in den 1970ern deutlich an. Es ist ein schmuckloser Funktionsbau aus Beton der nicht so recht zu den vorher gesehenen, eher lieblichen Stationsgebäuden passen will. Doch halt, Bahnhof und Altstadt haben nicht mehr miteinander gemein, als ihre unmittelbare Nähe! Schon die weithin sichtbare gotische Burganlage macht Appetit auf eine Stadtbesichtigung, bei der garantiert die gut erhaltene Stadtbefestigung, die düstere Henkergasse und die Kirche „Aufstieg des heiligen Kreuzes“ mit ihren zwei Türmen zu gefallen wissen. Doch zurück in die Realität, die restlichen Kilometer bis zum Bahnhof Kadan (ab 12/2006: KadanPrunefov) führen nämlich dank zweier Braunkohletagebaue durch eine Mondlandschaft. Die riesigen Bagger haben hier mit ihren gierigen „Klauen“ ein häßliches Gegenstück zur sonst so sehenswerten Gegend geschaffen. Auch der Bahnhof von Kadan im Schatten der riesigen Kraftwerke „Prunefov I“ und „Prunefov II“ ist kein architektonischer Höhepunkt. Aber hier besteht die Möglichkeit, in die Züge der Relation Chomutov Cheb umzusteigen. Folgen wir nun ab Vilemov u Kadane der 9 Kilometer langen CD-KBS 165 nach Kadansky Rohozec/Böhmisch Rust. Nach kurzer Fahrt erreicht der Triebwagen den näher am Ort gelegenen Haltepunkt Vilemov u Kadane mesto. Von hier bestand eine 1,5 km lange Anschlußbahn zur etwas nördlich gelegenen Kohlengrube „Prokop“, die mit einem kleinen System von schmalspuriger Werkbahn aufwarten konnte. Alle Anlagen sind inzwischen längst verschwunden. Weiter über Felder führt die Schiene zum zeitweiligen Streckenendpunkt Radonice u Kadane. Die baulichen Anlagen des Bahnhofs sind landestypisch noch vollständig erhalten geblieben. Hinter Radonice paßt sich die Strecke dem Hügelland an und erreicht über Zdov/Gestob den langjährigen „Endbahnhof’ Kadansky Rohozec. Dieser wird jedoch künftig nicht mehr angefahren die beiden Ausflugszugpaare auf diesem Ast enden wie zwischen 1884-1902 in Radonice. So wird sich die Endzeitstimmung, passend zum bescheidenen Erscheinungsbild der Region, noch verstärken können. Das Empfangsgebäude ist verschlossen, die umfangreichen Gleisanlagen größtenteils verrostet. An der westlichen Bahnhofsausfahrt wäre dann ohnehin Schluß, hier beginnt der heute von der NATO genutzte Truppenübungsplatz „Hradiste“. Diesem „Abenteuerspielplatz“ fiel bis spätestens 1970 die Reststrecke nach Doupov /Duppau zum Opfer.
Duppau, einst Marktflecken und politisches wie auch gesellschaftliches Verwaltungszentrum des ehemaligen gleichnamigen Schul- und Gerichtsbezirks, besaß Stadtrechte ab mindestens 1566. Die Volkszählung von 1930 ergab 272 Hausnummern und 1.605 Bewohner, davon 1.572 deutsche Böhmen. Der Rest dürfte erfahrungsgemäß auf nach hierher versetzte Staatsbeamte bei Bahn, Post, Gendarmerie, Justiz und Fiskus entfallen sein, die der tschechischen Volksgruppe angehörten. Das Städtchen besaß nämlich ein Bezirksgericht sowie Finanzamt, außerdem ein Obergymnasium im Piaristenstift, Gewerbeschule und das Bezirkskrankenhaus. Haupterwerbszweig war die Landwirtschaft im dünn besiedelten Gebirge. Seine romantische Lage in reizvoller Umgebung nahe des sagenumwobenen Ödschloßberges, Herbaloch und Diebsteig brachte zunehmend Gäste als Sommerfrischler hierher. Drei Kirchen prägten das Stadtbild. Der geistlichen Erbauung dienten ferner zwei Kapellen. Und die von Asch sowie Roßbach her bekannte Familie von Zedwitz ließ sich eine Gruft oberhalb der Stadt errichten. Überregionale, traurige Bekanntheit erlangte Duppau indes nach Vertreibung der Deutschböhmen 1946, als der Ort langsam im „Nebel“ des Truppenübungsplatzes „Hradiste“ zu verschwinden begann. Die Volkszählung von 1947wies 523 Neusiedler aus, mehr als die Hälfte aller Häuser stand damals jedoch bereits leer. Zwar erhöhte sich die Einwohnerzahl im Jahr darauf um 65 Personen, dennoch fehlte es an der Grundversorgung. Nach einem Jahr hier zog 1948 der Allgemeinmediziner in Richtung Pilsen ab, wo er bessere Lebensbedingungen erhoffte. Die staatlichen Behörden verpflichteten daraufhin 1949/50 je einen Kinderarzt und Allgemeinmediziner zum Dienst in Duppau, dennoch war für ein Gebiet von 50 km 2 Ausdehnung nur ein Arzt zuständig! Eine Apotheke gab es bis Ende 1952, als der Inhaber in Rente ging, bis Oktober 1953 existierten noch ein Fleischergeschäft, drei Gemischtwarenläden und zwei Gasthäuser. Bis Mai 1954 erreichten werktäglich noch vier Zugpaare den Duppauer Bahnhof, anschließend fand zwischen Böhmisch Rust ( damals noch Cesky Rust genannt) und dem Endpunkt kein ziviler Reiseverkehr mehr statt. Die letzten Zivilisten verließen Duppau im April 1954. Zusammen mit Dürrmaul wurde Duppau bereits 1953 in den Truppenübungsplatz einbezogen als Ausgleich für verlorengegangenes Terrain im Kaiserwald um die Stadt Lauterbach, wo die Militärs der Uranerzförderung weichen mußten. Aufgrund des Leerstandes wurden schon zwischen 1946 und 1953 um die 140 Häuser demontiert oder abgerissen. Nach der Eingliederung in den Truppenübungsplatz nahm das Militär auch die ehemaligen Klosteranlagen samt Oberschule und Gymnasium in Beschlag. Die Gesamteinstellung des Bahnverkehrs erfolgte bereits am 30. April 1955. Wegen Ausweitung des Schießplatzes wurde Duppau Ende der 195oer als Verwaltungssitz des Truppenübungsplatzes aufgegeben und die entsprechenden Militärorgane siedelten sich anschließend in Turtsch an, das bis in die Gegenwart die am besten erhalten gebliebene Siedlung im militärischen Sperrgebiet ist. Die noch vorhandenen Gebäude von Duppau ( ca. 70) wurden im Rahmen von Militärübungen zerschossen. An der Schuttabfuhr bei den Aufräumarbeiten beteiligten sich laut Augenzeugenbericht eines 2006 verstorbenen Beteiligten auch Fahrzeuge landwirtschaftlicher Genossenschaften, vorwiegend Schlepper und Lkw. Aus dessen Erlebnisbericht ging hervor, daß um 1962 in der Stadtmitte noch Häuser gestanden haben, er konnte sich aber bis auf die Kirche an keine Zahl mehr erinnern. Die allerletzten Baulichkeiten wurden erst im Winter 1968/69 bei Manövern der Volksarmee als Ziele für Artillerie- und Panzerschießübungen auserkoren und erfolgreich bekämpft. Damit endete die fast 900jährige Stadtgeschichte. Fallweise erlaubte der tschechische Generalstab in den vergangenen Jahren vereinzelte Wanderungen im nicht mehr genutzten Teil des Übungsgeländes. So ist es vereinzelt möglich, sich in der verwunschenen Landschaft aufzuhalten und auf Pfaden zu wandeln, die schon lange keine Menschenseele mehr gegangen ist. Vielleicht wird eines Tages das Dröhnen der Ketten und Motoren, das dumpfe Grollen der Einschläge für immer verstummen und sich ein sanfter Frieden über die geschundene Landschaft senken …
11.02.2008