Editorial
Liebe Preß’-Kurier-Leser,
in meiner beruflichen Tätigkeit habe ich viele Berührungspunkte mit moderner Schienenfahrzeugtechnik. Die Vielfalt reicht von Straßenbahnwagen (u. a. ein Entwicklungsauftrag für drei sächsische Städte), Regionalschnellzügen für eines unserer Nachbarländer, Schnellzügen für einen asiatischen Betreiber, Metrofahrzeugen bis hin auch zu Fahrzeugen für Gleisunterhaltung und Neubau – für Ingenieure mit einem Faible für dieses Verkehrsmedium also ein spannendes Metier. Dass dabei zeitgemäße Innovationsansätze verfolgt werden, die die Forschung zu Integrationsmöglichkeiten für neuartige Antriebskonfigurationen einschließen, verwundert sicherlich nicht. Auch das autonome Fahren auf Schienen ist eine in der Forschung befindliche Zukunftsoption – und diese Option hat definitiv nichts mit einem Streik von Lokführern zu tun. Von meinen Mitarbeitern erwarte ich dabei im Entwicklungsprozess immer, den Blick auf die Bedürfnisse des Endkunden, des Fahrgastes, zu halten. Wenn vermeintlich spannende Extras wie WLAN an Bord angepriesen werden, aufgrund guter 5G-Abdeckung der Nutzer aber mit seinem Handynetz bereits bestens versorgt ist, stellt sich schon die Sinnfrage. Oder ob der Einbau von USB-A-Ladebuchsen einen Mehrwert bietet, wenn die Standardisierung der Schnittstellen nun endlich EU-weit auf USB-C erfolgt ist.
Eine Frage in einem Leserbrief Ende März regte mich zum Nachdenken über eine andere Thematik an. Mit Bezug auf die I K Nr. 54 lautete die Fragestellung, wie die Zeichnungen um das Jahr 1890 aussahen, wie aussagefähig und detailliert sie für die Fertigung waren und mit welchen zeichnerischen Mitteln zur damaligen Zeit die Konstruktion einer Lokomotive vorbereitet wurde? Tatsächlich stellt sich damit die Frage, wie effektiv wir heute bei der Konstruktion wirklich sind. Nur weil wir alles in 3D-CAD abbilden und daraus dann beliebig viele 2D-Zeichnungen für die Fertigung ableiten können, heißt das nicht, dass wir die Arbeit früherer Konstrukteursgenerationen belächeln sollten. Natürlich wurden um 1890 alle Fahrzeuge in 2D konstruiert. Jede weitere Ansicht eines Teils, einer Baugruppe oder eines ganzen Fahrzeuges musste zu den vorherigen Zeichnungen passen. Maße mussten identisch übernommen werden, die Schnittstellen passen und die Informationen für die Fertigung auskömmlich sein. Da jede Zeichnung händisch angefertigt und für jede zusätzliche Verwendung ebenfalls händisch dupliziert werden musste, überlegte man es sich trotz großer Konstruktionsbüros bei den Herstellern und Bahnunternehmen ganz sicher vorher, was man wirklich brauchte. Dagegen geht man mit den heutigen 3D-Modellen geradezu verschwenderisch um, weil faktisch viel Arbeit durch die Software übernommen wird. Gleichzeitig wurde mit Anwendung heute geltender DIN-Normen der Informationsgehalt von Zeichnungen deutlich reduziert, so dass man heute keine Zeichnung eines modernen Schienenfahrzeuges mehr finden wird, die an den Detailreichtum der 1:10-Zeichnung der I K heranreicht, die als Startpunkt für die Konstruktionsarbeit der I K Nr. 54 gilt. Es ist mithin also nie verkehrt, sich auch mit solchen Fragestellungen immer wieder auseinanderzusetzen.
Keine Sorge, jetzt ist dieser Exkurs schon vorbei. Wir berichten auch in dieser Ausgabe wieder von vielen Aktivitäten in der heutigen Zeit zur Bewahrung der technischen und kulturellen Errungenschaften. Wir laden Sie ein, diese Aktivitäten durch einen Besuch oder eine Spende zu unterstützen.
Glück Auf!
16.04.2024